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Gegenwartskunst lernen

Normalerweise korrespondieren wir mit Kurator*innen, Künstler*innen oder Wissenschaftler*innen, die es schon hinter sich haben. Viele von ihnen waren an der Universität oder der Akademie, um dort ihr Studium abzulegen. Und erinnern sich in Gesprächen gern an die Zeit zurück. In „Gegenwartskunst lernen“ geht es auch für uns noch einmal zurück in den Hörsaal. Wir haben das Gespräch mit Lehrenden und Studierenden gesucht, haben Lehrpläne und Schwerpunkte durchforstet – natürlich immer auf der Suche nach Jetztkunst. Als erstes haben wir uns in unserer nächsten Nachbarschaft umgeschaut. Wo lernt man rund um den Brenner etwas über Gegenwartskunst? Wie viel und wie gut? Und wie geht’s den Studierenden gerade?

./studio3:

Nach der Theorie wird es jetzt wieder praktisch, experimentell – manchmal utopisch. Architektur und Gegenwartskunst – verträgt sich das? Im ./studio3 der Uni Innsbruck ist diese Verbindung gleichzeitig grundlegende Struktur. Am Institut für experimentelle Architektur stehen also Schriften von Kunsttheoretiker*innen, Vorträge von Künstler*innen und Museumsbesuche auf dem Studienplan. Welche Vorteile sich ergeben und welche (Bau)-Projekte gerade anstehen, verrät u.a. Institutsleiterin Kathrin Aste. Zu sehen ist die von Studierenden mitgestaltete Realität mitten im öffentlichen Raum.

Titelbild c) BfG / Kathrin Aste, c) ./studio3

Kathrin Aste

Kathrin Aste ist eine österreichische Architektin und Forscherin. Sie studierte an der Universität Innsbruck und unterrichtete dort an verschiedenen Instituten von 2000 bis 2011. Von 2011 bis 2015 war sie Gastprofessorin an der Universität Liechtenstein und von 2014 bis 2018 leitete sie die Plattform Geographie Landscape and Cities am Institut für Kunst und Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Derzeit ist sie Vorständin des Instituts für Experimentelle Architektur und des Arbeitsbereiches ./studio3 der Universität Innsbruck. Neben ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit arbeitet Kathrin Aste auch als praktizierende Architektin. Seit 2009 leitet sie zusammen mit Frank Ludin das Architekturbüro LAAC. LAAC übernimmt gestalterische Verantwortung in den Bereichen Architektur, Landschaftsgestaltung und Städtebau immer mit Blick auf Kunst, Kultur und Gesellschaft.

Wir sehen den virtuellen Raum als Potenzial und Experimentierfeld, das es heute im realen Raum nicht mehr gibt.

> Kathrin Aste

Was ist das ./studio3?

Kathrin Aste: Das ./studio3 ist ein Fachbereich des Instituts für experimentelle Architektur der Architekturfakultät der Universität Innsbruck, dazu gehört auch der Fachbereich Hochbau. Gegründet – oder besser gesagt – geprägt hat das ./studio3 Volker Giencke, der ehemalige Professor für Hochbau.

Womit beschäftigt sich das ./studio3?
Das ./studio3 agiert an der Schnittstelle zwischen Architektur, Kunst und Kultur. Wir verstehen die Architektur als künstlerische Disziplin. Viele verstehen Architektur lediglich als technische Disziplin – als Disziplin, die in der Praxis angewandt wird und für den Bau oder für den Entwurf unserer gebauten Umwelt zuständig ist. Architektur als künstlerische Disziplin rückt dabei in den Hintergrund. Es ist uns also äußerst wichtig, das zu unterstreichen – dementsprechend arbeiten wir intensiv daran, den Entwurf als künstlerischen Schaffensprozess zu vermitteln. Unsere Bibliothek ist voll mit Kunstbüchern, viele unserer Entwurfsprozesse sind methodisch mit der künstlerischen Praxis vergleichbar.
Wie befruchten sich die Disziplinen gegenseitig?

Ich denke, die Architektur bedingt wie die Kunst das Verlangen des psychischen Daseins, des bewussten Erlebens. Dieses Bedürfnis will etwas Neues erleben, es will überrascht werden, um letztlich Freude und Erkenntnis zu erfahren. Die Architektur hat sich immer entwickelt und verändert und ihre Zeitgenossenschaft entdeckt. Das kann sie nur, indem Architekt*innen wie Künstler*innen eine sensible und gleichzeitig kritische Wahrnehmung entwickeln und nicht zu Dienstleistern oder Erfüllungsgehilfen rein privater Interessen werden.

Im Gegensatz zur Architektur, ist die Kunst frei sie muss keine funktionalen Anforderungen erfüllen. Die Kunst dient der Architektur als Reflexionsfläche. Sie zeigt ihr die Grenzen ihrer Möglichkeiten und damit auch ihr Potenzial und ihre Verantwortung auf. Folglich untersuchen wir künstlerische Schaffensprozesse und beschäftigen uns mit allen möglichen Kunstströmungen vom Suprematismus über den Futurismus, den Dadaismus bis hin zu zeitgenössischen Entwicklungen, die sich auch mit ökologischen Fragen beschäftigen. Wenn man sich künstlerische Tendenzen anschaut, dann hat das immer Auswirkungen auf den architektonischen Schaffensprozess gehabt. Während sich Giencke zu seiner Zeit noch hauptsächlich mit dem physischen Raum auseinandersetzte, also mit der, wie er es nannte, „konkreten Utopie“, haben wir das Feld auf Basis der zeitgenössischen Tendenzen erweitert. Wir untersuchen heute sowohl für den physisch realen Raum als auch für den digitalen virtuellen Raum. Schlussendlich ist auch der virtuelle Raum ein realer, den es zu entwerfen gilt. Bisher wird das betrieben von Designer*innen, die hauptsächlich im Gamingbereich positioniert sind, weniger aus der Perspektive von Architekt*innen. Da stellt sich natürlich auch die Frage: Inwieweit ist es auch unsere Aufgabe, diesen Raum mitzugestalten?

Welche Herausforderungen ergeben sich mit dem virtuellen Raum für Architekt*innen? Welche Aufgaben gilt es zu lösen? Welche neuen Möglichkeiten entstehen?
Wir sehen den virtuellen Raum als Potenzial und Experimentierfeld, das es heute im realen Raum nicht mehr gibt. Der virtuelle Raum ist in der Lage, sich der Konvention des Maßstabs zu entledigen, und eröffnet dadurch eine neue Beziehung zwischen Mensch und Raum. Außerdem ist es ein Format, architektonische Ideen virtuell begehbar zu machen und dadurch die konzeptionelle Natur der Architektur untersuchen zu können. Zudem leben wir in einer Zeit, die neben virtuellen, interaktiven Räumen auch neue Formen individueller und kollektiver Handlungstätigkeit, sprich Partizipation, einfordert. Dementsprechend erachten wir diverse Formen kollaborativer, netzwerkbasierter Crowd-Interaktionen und deren Auswirkung auf den Gestaltungsprozess als besonders interessant.
Welche Schwerpunkte hast du seit der Übernahme des ./studio3 gesetzt?

Ich würde sagen, ich habe viele Schwerpunkte übernommen, sie auf Basis zeitgenössischer Tendenzen verändert und versucht, sie zu schärfen. Jedes Jahr stellt sich das ./studio3 einem Überthema, welches in Form von 1:1-Projekten sowie architektonischen und künstlerischen Konzepten gemeinsam mit den Studierenden intensiv untersucht wird.

Übernommen und erweitert wurde das Thema der 1:1-Design-Build-Projekte. Interessant dabei ist, dass durch den Akt des Bauens Inhalte, die erst entwickelt und durch Zeichnungen visualisiert werden, vollzogen werden. Das Projekt, die Architektur sind dann Übersetzungen in die Realität und damit wirklichkeitskonstituierend. Wird der Prozess des Produzierens bzw. des Bauens als Reenactment verstanden, wird der Entwurf durch das Ereignis des Produzierens und Bauens nachvollziehbar, diskutierbar und erinnerbar. Das ./studio3 verfügt auch über einen terrestrischen Laserscanner, mit dem wir insbesondere diese temporären Bauten aufzeichnen, um deren Qualitäten abbilden und archivieren zu können. Der Laserscan bzw. die dabei entstandene Punktwolke dient uns auch als Schnittstelle zum virtuellen Raum.

Übernommen und vertieft wurde auch die künstlerische Venia des ./studio3. Innerhalb der Überschneidung von Architektur und Kunst werden gleichzeitig neue theoretische Ansätze und konkrete Umsetzungen durchgeführt. Die Architektur versteht sich als Synthese von Ästhetik, Funktion und Konstruktion einerseits und visueller Wahrnehmung und wissenschaftlichem Denken andererseits. Die Kunst nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, indem sie aktiv am Gestaltungsprozess der Architektur teilnimmt. Durch die künstlerische Venia des ./studio3 war es mir möglich, eine kleine Professur zu installieren, die der Künstler Thomas Feuerstein im Moment innehat – eine befristete Gastprofessur, die auch direkt mit anderen Künstler*innen zusammenarbeitet und den architektonischen, künstlerischen Schaffensprozess bereichert und diskutiert.

Zu welchem Überthema arbeiteten die Studierenden 2021?
Wir beschäftigen uns jetzt schon länger mit dem Thema der Assemblage. Die Assemblage ist ein Gefüge, das sich aus verschiedensten heterogenen Elementen zusammensetzt. Und schlussendlich ein diverses, widersprüchliches, explosives, inspirierendes Gefüge bildet, das aber in seiner Ganzheit mehr ist als jedes Teil für sich. Im Sinne der forschungsgeleiteten Lehre untersuchen wir die Assemblage als Raumkonzept, um für immer komplexere Anforderungen möglichst flexible und vielschichtige Lösungen entwickeln zu können. In der Architektur stand lange die Idee der Reduktion auf einige wenige Materialien im Vordergrund, eine Idee der Moderne. Uns hat man noch gelehrt: Verwende niemals mehr als maximal drei verschiedene Materialien. Das ist mit unserer Gegenwart gar nicht mehr vereinbar. Wir werden künftig einfach auf das zurückgreifen müssen, was vorhanden ist. Wir können es uns aufgrund der Ressourcenknappheit gar nicht mehr aussuchen. Architektur wird in Zukunft also extrem reaktionsfähig, flexibel und innovativ sein müssen im Umgang mit Materialien. Um dennoch inspirierend, lebendig und auch ästhetisch, gestalterisch anspruchsvoll arbeiten zu können, bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit Materialität. Wenn man dabei keine Materialforschung betreibt, haben wir es am Ende nur mehr mit Ramsch zu tun. Die Assemblage zeigt uns dabei auf, wie wir mit kontroversen Bedingungen der Gegenwart umgehen können.
Das Thema Nachhaltigkeit treibt natürlich auch Künstler*innen zurzeit um. Wo kann die Architektur da ansetzen?
Wie gesagt, in der Erforschung der Materialien etwa. Wie kann man Symbiosen provozieren und erzeugen? Auch für die Architektur können Rückbezüge auf Donna Haraways Schriften oder Bruno Latour gemacht werden. Oder auf Karen Barad und Jane Bennett und dem, was sie als „Neuen Materialismus“ bezeichnen. Ganz konkret geht es um ein neues Verständnis von Ökologie. Bis zu einem gewissen Punkt sind es posthumanistische Theorien, die einen Anthropozän-kritischen Standpunkt vertreten. Und die Architektur wird ja bis heute vornehmlich aus der Perspektive des Menschen gedacht. Dabei ist inzwischen klar, dass die ganze Umwelt bzw. der Planet an sich im Zentrum steht. Die Architektur denkt immer in Verhältnissen und Maßstäben, sie bezieht sich auf Vitruv, den Vitruvianischen Menschen oder auf Le Corbusiers „Modulor“. Wir haben immer nach dem Menschen gebaut, das muss man inzwischen massiv in Frage stellen. Und künftig – in einer gewissen Weise – auch überwinden.
Abseits der Theorieschwerpunkte wird das ./studio3 in Innsbruck immer wieder mit konkreten Projekten sichtbar. Warum ist das wichtig?

Das ist ein wichtiger Schwerpunkt in der Ausbildung. Das ./studio3 hat bereits einen Kindergarten in Südafrika gebaut, das bilding hier in Innsbruck, die SpielRäume der Universität und eine Vielzahl von temporären Gebäuden und Installationen, wie etwa das Stadtraumquartier in der Reichenau. Wir bauen 1:1, weil wir glauben, dass die Disziplin der Architektur an der Universität bereits wirksam sein muss, sie muss in der Gesellschaft wirkmächtig sein und unmittelbar spürbar werden für Stadtnutzer*innen. Wir wollen damit herausfinden, wie man einen Ort etwa neu kontextualisieren, verändern könnte. Dieses unmittelbare Erlebnis ist für die Architektur genauso wichtig wie für die Kunst. Es nützt der Kunst nichts, wenn sie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift besprochen wird, sie muss auch im Museum hängen, in einer Ausstellung zu sehen sein, sie muss unmittelbar für uns erlebbar werden. Das kann die Kunst. Sie fordert uns immer wieder auf, Neues zu entdecken. Das betrifft auch die Architektur. Deswegen bewegen uns Gebäude, bei denen wir etwas Neues entdecken, die uns Räume auftun, die Möglichkeitsräume sind und die uns in einer gewissen Weise auch herausfordern. Das Schöne am 1:1-Bauen ist natürlich auch, dass es interdisziplinär erfolgt. Wenn wir die Bühne für das Heart of Noise bauen, dann geschieht dies in Kooperation mit anderen Kulturschaffenden. Das sind Erlebnisse, die sehr wichtig sind für die Studierenden.

Verena Rauch &
Walter Prenner &
Teresa Stillebacher

Verena Rauch, Walter Prenner und Teresa Stillebacher arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen am ./studio3 der Uni Innsbruck. 2005 gründeten Rauch und Prenner das Architektur- und Kunstkollektiv columbosnext. Stillebacher arbeitet auch als selbstständige Architektin.

An welchem aktuellen 1:1-Projekt arbeitet ihr gerade?

Verena Rauch/Walter Prenner/Teresa Stillebacher: Im Rahmen der Bachelorarbeit entwickeln wir gerade zusammen mit 17 Studierenden eine kleine Architektur am anderen Ende der Welt, in Pozuzo, Peru. Dieses Projekt reiht sich ein in die Design-Build-Projekte des ./studio3. Pozuzo verfügt über eine kulturelle Eigenart. 1857 machten sich rund 300 Tiroler*innen und Rheinländer*innen auf, getrieben von Armut, den Revolutionen und Aufständen in Europa, zu einer Reise ohne Wiederkehr nach Peru. Nur die Hälfte davon erreichte nach zweijähriger Irrfahrt ihr Ziel Pozuzo am Rande Amazoniens. Ihre Nachfahren leben noch heute dort, sprechen „Tirolisch“ und halten an kulturellen Besonderheiten fest. Der Verein Freundeskreis für Pozuzo, dessen Zweck die Förderung und Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Tirol und den Nachfahren der Kolonisten in Pozuzo ist, wurde an das ./studio3 herangetreten, um vor Ort eine interkulturelle Schnittstelle für ihre Aktivitäten zu errichten. Wir starten den Prozess mit kleinen Entwurfsübungen und beziehen uns inhaltlich auf die „Poetik der Vielheit“ des französischen Schriftsteller, Dichter und Philosophen Édouard Glissant. Er beschreibt die Idee der interkulturellen Kommunikation, welche nicht dieses mit jenem, sondern alles mit allem verbindet. Die „Kreolisierung“ nach Glissant ist ein Zusammenspiel von heterogenen, aber unbedingt als gleichrangig geltenden kulturellen Elementen, die dabei zwar verwandelt, aber nicht wie in einem Schmelztiegel aufgelöst werden.

Dieser Ansatz wird methodisch mit dem Semesterthema der Assemblage vereint und weiterentwickelt. Wir stellen uns der Herausforderung, Möglichkeiten eines globalen Austauschs durch den gemeinsamen Prozess des Entwerfens und Bauens zu finden, Kulturen nicht zu homogenisieren, sondern ein eigenständiges Repertoire zu finden, aus dem Neues entstehen kann. Wir versuchen somit nicht nur architektonische Elemente und Eigenheiten neu zu interpretieren, weiterzuentwickeln und zusammenzufügen, wir wollen darüber hinaus materielle und immaterielle, kulturelle und künstlerische Bausteine für eine Poetik der Vielheit finden und diese Bausteine zu einer räumlichen Assemblage fügen. Scheinbar Widersprüchliches, Kurioses, Alltägliches, Natürliches und Gefundenes wird zusammengefügt, komponiert und zu einer identitätsstiftenden, räumlichen, dreidimensional auf den Bauplatz gestrickten Assemblage vereint. Überraschende, zufällige, unerwartete und unbekannte Momente der Assemblage sind die Essenz für die zu entwickelnde kleine Architektur.

Ein zweites 1:1-Projekt in Innsbruck, das am Vorplatz vor der Messehalle im Sommer realisiert wurde, ist eine Bühne für den neu umgebauten COOL INN Park, die als „Klimasalon“ fungieren wird. Diese Bühne wird im Sinne der Nachhaltigkeit als Assemblage aus einer Vielfalt an recycelten Materialien gebaut. Sie wird Fragen aufwerfen, die sich mit den Auswüchsen des Anthropozäns beschäftigen, mit der Fragilität unserer Gesellschaft und unserer Umwelt, mit den Hinterlassenschaften und menschlichen Abdrücken, den Deponien, dem Synthetischen und dem schönen Trash.

Wie gehen die Studierenden damit um? Gibt es Berührungsängste?

Kathrin Aste: Nein, die Studierenden sind sehr offen. Es existiert diese Sehnsucht, mit etwas Konkretem und Positivem etwas beizutragen. Insofern unterscheiden sich Architekturstudierende sicher sehr von anderen Studierenden. Architektur ist eben eine sehr angewandte Disziplin. Man will etwas umsetzen. Wenn das früher passiert und nicht erst als fertige*r Architekt*in im eigenen Büro, ist das sehr erfreulich. 

Wie geht es Studierenden, wenn sie direkt auf Kunst im Studium treffen? Etwa bei Thomas Feuerstein?

Thomas Feuerstein hat auch Philosophie studiert, er ist also einerseits ein vielbeachteter Künstler und andererseits ein versierter Theoretiker. Das passt insofern, weil Architekt*innen immer auch Universalist*innen sind und das werden sie auch bleiben müssen, weil sie viele Dinge des täglichen Lebens, die uns herausfordern, synthetisieren müssen. In der Architektur ist im Gegensatz zur Kunst nicht alles möglich, sie wird immer als Kultursäule abgewogen. Was bringt sie der Gesellschaft, ist sie leistbar, kann man sie benutzen, ist sie wirtschaftlich, ökologisch vertretbar? Thomas Feuerstein setzt sich mit Theorien und Materialien, metabolischen und biologischen Prozessen auseinander und das sind auch wichtige Themen für die Architektur. Gleichzeitig sieht er die Potenziale der Architektur mit anderen Augen. Er gibt den Studierenden sowohl in intellektueller als auch künstlerischer Hinsicht Feedback und versorgt sie mit überraschenden Referenzen und Quellen.

Welche Themen interessieren die Studierenden aktuell am meisten?

Der virtuelle Raum ist sicher eines der ganz großen Themen im Moment. Deshalb beschäftigen sich einige aktuell mit ihm und beobachten, was damit passiert. Wie entwickelt sich das? Ganze Teile unserer Gesellschaft leben zu einem sehr großen Teil im digitalen bzw. virtuellen Raum. Es ist nicht nur ein Phänomen, sondern eine Realität, mit der wir uns beschäftigen müssen, um herauszufinden, wie man den Raum auch möglichst in etwas Positives lenken kann.

Unsere Abschlussarbeiten beschäftigen sich aber mit unterschiedlichsten Themen, das reicht von Deleuze und Guattari und der Frage nach dem glatten und dem gekerbten Raum über die Alpen als Speicher, das Thema des Faux Terrain in Bezug auf das Tirol Panorama, die Bedeutung der OP Art für die Architektur bis hin zu einem Vorschlag für den Neubau des Ferdinandeums in Innsbruck. Einige unserer Arbeiten zeigten wir online auf der vergangenen Biennale, wo sich unterschiedliche Institute präsentieren und vernetzen konnten.

Füllt das ./studio3 eine Lücke im Westen Österreichs, wo es sonst keinen Zugang zu einer klassischen Akademie gibt?
Ja, das würde ich schon sagen. Dabei kommt es uns entgegen, dass die ganze Fakultät sehr künstlerisch ambitioniert ist. Ich glaube, dass unsere Fakultät ein Hort für künstlerisch interessierte Menschen ist. Besonders für jene, die einen anderen Ansatz verfolgen als klassische Kunststudierende. Ich fände es dennoch begrüßenswert, wenn es eine Kunstakademie oder einen Zweig für bildende oder angewandte Kunst hier im Westen gäbe. Bevor allerdings eine Akademie kommt, müsste man hier generell ein bisschen offener gegenüber der Kunst werden. Ich denke hier auch an eine große Kunsthalle, die in Tirol fehlt. Mir fehlen die wichtigen Positionen in der Kunst der Gegenwart.
 
Du hast eingangs erwähnt, die Architektur zeigt, wie „kultiviert“ unsere Gesellschaft gerade ist. Wie ist der derzeitige Zustand unserer Gesellschaft?
Der Zustand der Architektur ist derzeit nicht nur in Tirol bedauernswert. Das Selbstverständnis für eine qualitätsvolle Gestaltung fehlt komplett. Im Moment fehlt vielleicht auch die Orientierung. Schuld daran ist sicher ein generelles Problem mit Raumordnung, Bodenpolitik, dem Turbotourismus und ein fehlendes Kunst- und Kulturbewusstsein der Politik. Am Ende geht es darum, möglichst schnell, möglichst viel, zu möglichst wenig Geld zu bauen. Also auch etwas zu produzieren, das sich schnell wieder verkaufen lässt. Spekulation spielt eine sehr große Rolle. Und das ist eine denkbar schlechte Ausgangslage für gute Architektur und gute Baukultur. Außerdem ist man in Tirol sehr verhalten, sehr ängstlich gegenüber Experimenten. Österreich ist generell übernormiert. Diese Flut an Richtlinien ist aber nicht förderlich für eine lebendige und innovative Gestaltung von Raum und Umwelt. Außerdem geht es aktuell auch um die Frage von Partizipation, die zwar wichtig ist, die aber richtig eingesetzt gehört. Unsere Regierung setzt gerade sehr viel auf Partizipation. Was dabei herauskommt, ist der kleinste gemeinsame Nenner einer wissenschafts- und kulturskeptischen Gesellschaft. Das Entwerfen ist eine Praxis der Konzentration, der spielerisch-kreativen Auseinandersetzung, des Neugierigmachens auf ein Universum, das es so noch nicht gibt. Verstehen wir die Architektur als Disziplin, die ihre umfangreiche Verantwortung im Umgang mit der Umwelt und dem gebauten Raum wahrnimmt, und zwar sowohl in räumlich-ästhetischem Sinne als auch im sozialen und ökologischen Sinne, so wird es Zeit, sich den wichtigen Fragestellungen zu öffnen und neue Ansätze ambitionierter Architekt*innen zu fördern.

PrOJEKtE

„Disco Volante“ & „Barbra Schreisand“: In Kooperation mit dem Festival Heart of Noise entstanden architektonische Interventionen des ./studio3 mitten in der Stadt.  c) Daniel Jarosch

Abseits der Theorieschwerpunkte wird das ./studio3 in Innsbruck immer wieder mit konkreten Projekten präsent, ein Kindergarten in Südafrika, die Architektur- und Kunstschule  bilding in Innsbruck oder die SpielRäume der Universität Innsbruck sind einige Beispiele der temporären Bauten. c) Charly Schwarz, Melanie Bartos, Thomas Innerwinkler, Lorenz Jocher, ./studio3

In den Werkstätten des ./studio3 im Innsbrucker Westen wird in coronafreien und nicht vorlesungsfreien Zeiten intensiv gearbeitet. c) BfG

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