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Eine Frage des Raums

Mai ist Biennale-Monat – auch bei uns. Für diesen Beitrag nehmen wir einmal mehr die de-zentrale Perspektive ein und stellen die Raumfrage an zwei Kunstbiennalen, die sich dies- und jenseits des Brenners ansiedelten. Bewusst in der Stadt und bewusst am Land. Warum sich die Macherinnen der Biennale Innsbruck International und der Biennale Gherdëina für ihren jeweiligen Ort entschieden haben bzw. welche Erfahrungen sie mit dem jeweiligen Raum gemacht haben, erzählen sie uns im Gespräch. Außerdem sprechen wir über Gemeinsamkeiten, Entwicklungsmöglichkeiten und Herausforderungen, die sich für ihre zukünftigen Ausgaben ergeben könnten. Denn eines haben beide Veranstaltungen für sich beschlossen: Sie sind gekommen, um zu bleiben.

Titelbild: Dino Mehad /Bild oben: Innsbruck International

Innsbruck International Biennial of the Arts

Innsbruck International ist eine Biennale der zeitgenössischen Kunst, die inter-/nationale Künstler*innen nach Innsbruck lädt, um die Stadt an außergewöhnlichen historischen, sowie zeitgenössischen Orten mit bildender Kunst, Performances und Film- und Soundarbeiten, sowie Installationen zu bespielen. Innsbruck International feiern von 7. - 22. Mai ihr zehnjähriges Jubiläum, seit 2013 fanden fünf Ausgaben der Biennale in Innsbruck statt.

Tereza Kotyk+ Franziska Heubacher

Tereza Kotyk und Franziska Heubacher sind Kulturmanagerinnen in Innsbruck und Wien. 2010 hat Tereza Kotyk den Off-Space Soap Room in Innsbruck gegründet, aus dem sich die Biennale Innsbruck International 2013 entwickelt hat. Heute steht sie ihr als Festivalleiterin vor. Neben ihrer Arbeit als Kuratorin ist Kotyk auch Filmemacherin, ihre Produktionen wurden auf internationalen Festivals gezeigt. Franziska Heubacher ist Kuratorin von Innsbruck International und war bereits in unterschiedlichen Feldern der Kulturarbeit aktiv.

Bild: (1) Misa Marek / (2) Innsbruck International

Festivalbürobesuch 1: Innsbruck

Talk mit Innsbruck International

„Es gibt in der Stadt etliche hidden gems, die man normalerweise nicht besuchen würde. Warum also nicht den Ort über zeitgenössische Kunst zugänglich machen?“ Tereza Kotyk 

Bild: Biennale Gherdëina

Biennale Gherdëina

Die Biennale Gherdëina wurde 2008 als Parallel-Event zur Manifesta 7 in Südtirol/Trentino initiiert. In inzwischen sieben Ausgaben hat sie sich zu einem Festival für zeitgenössische Kunst entwickelt, das in Gröden, inmitten der Dolomiten stattfindet und das auf dem Austausch zwischen Mensch, Tieren, Umwelt und Kultur beruht. Doris Ghetta steht der Biennale als Direktorin vor, Eleonora Castagna ist für die Organisation zuständig und als Assistenzkuratorin tätig. 2022 geht die Biennale Gherdeina von 20. Mai bis 25. September unter dem Motto "Persones Persons" über die Bühne.

Paulina Olowska Slavic Goddesses and the Ushers at Teatro Pilat Ortisei. Opening Biennale Gherdeina 7 2020. Foto: Tiberio Sorvillo

Foto: Eleonora Castagna

Eleonora Castagna

Eleonora Castagna (*1989) ist Kuratorin in Südtirol. Sie hat ihr Studium an der Universität Bologna abgeschlossen. Sie arbeitet als unabhängige Kuratorin (u.a. für La Medusa -kulturelles Zentrum-, Biagiotti Progetto Arte, Bugada&Cargnel -Galerien-, für die Museen von Bassano del Grappa), als freischaffende Journalistin (für Toylet Mag, Diorama, Droste Effect und Alfabeta2), Kritikerin und Beraterin für kulturelle Kommunikation. Stationen in ihrer Karriere waren u.a. die Quadriennale di Roma, die Galerie Chert Lüdde in Berlin oder die Ramdom Association. Sie leitet gemeinsam mit Doris Ghetta deren Galerie Doris Ghetta. 2021 eröffneten die beiden neben dem Hauptsitz in Pontives bei St. Ulrich eine Außenstelle in Mailand eröffnet.

In Gröden zu arbeiten bedeutet, sich immerhin in einem Gebiet aufzuhalten, das sich in ständigem Wandel befindet, das dank einer unglaublichen, natürlichen Umgebung und einer effektiven Kommunikation in der Lage ist, einem sehr unterschiedlichen Publikum von sich zu erzählen.“ Eleonora Castagna  

Welche Bedeutung hat der Begriff „Peripherie“ für dich?

Eleonora Castagna: Ich verbinde den Begriff automatisch mit dem Ballungsraum großer Städte, wobei „Peripherie“ den mehr oder weniger abgegrenzten Randbereich in Bezug auf das (große) Zentrum bedeutet. Ich denke aber auch an ein Buch des Autors und Anthropologen Marc Augé, welchen ich sehr schätze und welches ich vor Kurzem gelesen habe. Der Titel des Buches beschreibt das, was man als den faszinierendsten und am meisten dem steten Wandel unterlegenen Teil der Vorstädte bezeichnen könnte: „For an Anthropology of Mobility“ bezieht sich eher auf das Konzept von Grenzen, aber ich finde, dass dies viel mit der Peripherie als mobil und durchlässig gemeinsam hat. Im Zusammenhang mit meinem kürzlichen Umzug in die Provinz Bozen denke ich nun auch über die Möglichkeit einer extrem ausgedehnten Peripherie nach, in der es fast kein Zentrum gibt, sondern ein sich immer weiter ausdehnendes Gebiet.

Was ist, deiner Meinung nach, der größte Unterschied zwischen deiner jetzigen Arbeit in einem ländlichen Gebiet und deinen Erfahrungen in Großstädten?

Paradoxerweise habe ich das Gefühl, dass ich in Südtirol, seit ich hier meine Arbeit begonnen habe, mehr Erfahrungen und Begegnungen gemacht habe als anderswo. In Gröden zu arbeiten bedeutet immerhin sich in einem Gebiet zu befinden, das sich in ständigem Wandel befindet, das reich an gelegentlichem, aber auch treuem Tourismus ist und das dank einer unglaublichen natürlichen Umgebung und einer effektiven Kommunikation in der Lage ist, einem sehr unterschiedlichen Publikum von sich zu erzählen. Es hat mich sehr gefreut, dass ich auch bei vielen internationalen Veranstaltungen hier feststellen konnte, dass die Provinz Bozen ein bekanntes und geschätztes Gebiet ist. Die Arbeit in der Welt der Kultur an diesem besonderen Ort gibt mir die große Hoffnung, dass ich noch mehr Menschen auffangen kann, die das Tal wiederentdecken können, auch indem sie den Wegen der zeitgenössischen künstlerischen Erfahrungen folgen. Ein gängiges Klischee über das Leben in den Vorstädten ist, dass man nicht die gleichen Dienstleistungen wie in den Großstädten vorfindet: Auch in diesem Punkt denke ich, dass die „erweiterten Vorstädte“ der Provinz Bozen ein umgekehrtes Beispiel sind, wo es sehr einfach ist, Informationen zu finden und zu bekommen, wonach man sucht.

Glaubst du, dass die künstlerische Handschrift im Jahr 2022 davon abhängt, wo Künstler*innen leben?

Ich denke, die künstlerische Sprache entwickelt sich aus dem Ort, an dem man lebt, wird aber unweigerlich durch die Erfahrungen verändert, die man während seiner Ausbildung und Forschung macht, die für viele Praktiken Reisen und Ortswechsel (sowohl physisch als auch mental) erfordern. Es hängt natürlich sehr von der individuellen Herangehensweise und den zu erforschenden Themen ab, aber wenn ich mir die Erfahrungen ansehe, die wir mit der Biennale Gherdëina gemacht haben, und mit den teilnehmenden Künstler*innen, die uns von den Kuratorinnen Lucia Pietroiusti und Filipa Ramos vorgestellt wurden, dann scheint mir, dass der Weg für alle jener zu Beginn dieser Antwort beschriebene ist. Ich denke auch, dass die künstlerischen Sprachen nicht monolithisch sind, sondern sich ständig weiterentwickeln und dass es unvermeidliche Wechselwirkungen zwischen der anfänglichen Forschung, die mit bekannten und gelebten Orten und Lebenserfahrungen verbunden ist, und der späteren Forschung, die mit Begegnungen und unerforschten Gebieten verbunden ist, gibt.

Wie hat sich deine Arbeit durch den neuen Wohnort und deine neue Rolle verändert?

Die Ausbildung in einer städtischen Umgebung und in großen Institutionen/Realitäten hat mir die Möglichkeit gegeben, viele Projekte zu verwirklichen, auch dank Menschen, die aus ähnlichen Gründen wie ich am selben Ort waren, und das hat mich unglaublich bereichert. Allerdings ist es auch so, dass man im großen Meer oft ein kleiner Fisch bleibt. Meine Ankunft und das Einbringen meiner Erfahrungen an einem peripheren Ort hat es mir sicherlich ermöglicht, meine Fähigkeiten und meine Position viel früher zu definieren, indem ich in engem Kontakt mit den Protagonist*innen der Projekte, die ich verfolge, gearbeitet habe. Es ist auch wahr, dass dies unvermeidlich eine Menge zusätzlicher Arbeit bedeutet, weil die Organisation und die Arbeitsteams zwangsläufig kleiner sind und man mehrere Dinge gleichzeitig verfolgen muss. Also, Freud und Leid! Aber an Energie mangelt es bestimmt nicht!

Welche Erwartungen hast du an die heurige Biennale im Grödental? Was ist für dich das Besondere an dieser Biennale?

Es war sehr schön, die Entwicklung von Persones Persons von Anfang an, im Sommer 2021, zu verfolgen. Durch meine frühzeitige Aufnahme in das Biennale-Team hatte ich die Möglichkeit, den Prozess zu verfolgen, der zur Wahl des Hauptthemas dieser achten Ausgabe führte, das sich mit der Koexistenz zwischen Menschen und anderen Formen pflanzlicher, tierischer und mineralischer Existenz befasst, auch ausgehend von den jüngsten rechtlichen Entwicklungen, die zur Anerkennung einiger natürlicher Einheiten als juristische Personen geführt haben. Das Kennenlernen der Praktiken und Projekte der beteiligten Künstler*innen ließ mich an das Potenzial denken, welches das Grödnertal dank des „Blickes von Außen“ derjenigen hat, die daran beteiligt waren, diesen Ort unter dem Gesichtspunkt der Ökologie, der Nachhaltigkeit und der gegenseitigen Durchdringung von Existenzen und Kulturen zu erzählen. Ich erwarte mir, dass diese Biennale mehr und mehr Menschen als in der Vergangenheit einbeziehen kann und, dass sie eine noch größere internationale Resonanz haben wird, da sie die Möglichkeit hat, ihre Geschichte sowohl innerhalb als auch außerhalb der eigenen Grenzen auf bestmögliche Weise zu erzählen.

Interview: Elisa Barison 

größere, dicht geschlossene Siedlung, die mit bestimmten Rechten ausgestattet ist und den verwaltungsmäßigen, wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt eines Gebietes darstellt; große Ansammlung von Häusern [und öffentlichen Gebäuden], in der viele Menschen in einer Verwaltungseinheit leben

Gebiet außerhalb der städtischen Zivilisation, das besonders durch das Betreiben von Landwirtschaft geprägt ist; dörfliche Gegend

Gegend, in der (mit großstädtischem Maßstab gemessen) in kultureller, gesellschaftlicher Hinsicht im Allgemeinen wenig geboten wird

Randgebiet, -bezirk, -zone

BEISPIELE
an der Peripherie der Stadt
〈in übertragener Bedeutung:〉 machtpolitisch an die Peripherie gerückt werden

ländlich, bäuerlich

städtisch, für die Stadt, für städtisches Leben charakteristisch

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