Ich beschäftige mich schon seit meiner Studienzeit immer wieder mit Themen der Landschaft und Natur in ihrem kulturellen Kontext. „overgrown“ ist nicht die erste Outdoor-Ausstellung, die ich kuratiere. Neben kleineren Projekten plante ich bereits 2013 gemeinsam mit Ute Niedermeyer ein Festival für Kunst, Urbanität und Natur mitten in der Innsbrucker Altstadt im Garten des Franziskanerklosters. Wir hatten kaum Geld und so gut wie keine Erfahrung. Aber jede Menge Motivation. Die dreiwöchige Ausstellung „urban spricht kunst“ wurde begleitet von einem umfangreichen Vermittlungsprogramm, Theateraufführungen, Filmvorführungen, Lesungen und Performances. Ohne die vielen engagierten KünstlerInnen und HelferInnen wäre diese Veranstaltung wohl kaum umsetzbar gewesen. Schon damals spielte der Ort die zentrale Rolle in der Konzipierung. Der Garten als unsichtbarer Raum, versteckt hinter Mauern, das Treiben um ihn herum, mitten im Stadtzentrum. Die Sensibilisierung unserer Wahrnehmung und Achtsamkeit im Bezug auf die Natur waren der Kern dieses Projekts. Ähnliche Fragestellungen lassen sich auch bei der Ausstellung „overgrown“ extrahieren. Die Ausstellung ist hier als Reihe gedacht und soll im Zweijahresrythmus zu unterschiedlichen Themen realisiert werden. Das besondere ist hier nicht nur der Ort, sondern auch die Dauer: Für ein ganzes Jahr bleiben alle für die Ausstellung konzipierten Arbeiten im Freien. Dabei gilt zu betonen: Buchen liegt auf 1247 m ü. A. und verbindet die Orte Telfs und Leutasch. Wir befinden uns hier mitten in einem Kleinod von Natur. Gleichzeitig spielt der Tourismus eine enorme Rolle – zahlreiche Hotels, Skischulen, Loipen und Wandergebiete gestalten das Landschaftsbild mit.
Buchen liegt recht abgeschieden, selbst die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln stellte sich als eher schwierig heraus. Es stellt sich also die Frage, warum genau dieser Ort? Die Antwort liegt nahe: zum Einen befindet sich dort das Gasthaus Ropferstubm welches von der Familie Pischl geführt wird, die wiederum den Kunst- und Kulturverein Telfs-Buchen während der Pandemie 2020 gegründet hat und mich als Kuratorin eingeladen hat dort etwas zu machen. Zum Anderen befinden wir uns genau hier an einer Schnittstelle zwischen Tourismus und Natur. Und ich wollte daraus, eine Schnittstelle zwischen Tourismus, Natur und Kunst machen.
Tirol ist als Tourismusgebiet bekannt und ist stets bemüht, das Klischee der idyllischen Bergwelt mit seinen Tälern und Naherholungsgebieten aufrecht zu erhalten. Ausgehend von einer unzähligen Reihe verkitschter Heimatfilme der Nachkriegszeit, die Tirol zu einem Sehnsuchtsziel und Urlaubsparadies erklärten, dreht sich die Tourismusmaschinerie ständig weiter. Kunst bietet hier eine Möglichkeit, sich der Natur über andere Perspektiven zu nähern, sie anders wahrzunehmen. Im Winter führt die Loipe entlang zum Ropferhof jetzt auch an Malerei und Skulptur vorbei, im Sommer der Wanderweg zu Gegenwartskunst mitten im Wald. Ohne, dass das Publikum damit rechnet. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Es ist die Wahrnehmung, die sich ständig verändert, so wie es die Kunstwerke selbst über das Jahr hinweg machen. Die Ausstellung knüpft an einer Sensibilisierung des Sehens und des Wahrnehmens an, zudem greift sie die aktuelle Problematik des Zusammenkommens in Zeiten der Pandemie auf. Nur gut, dass das Spazieren immer erlaubt war und ist.
Es dauerte nicht lange, bis meine Auswahl stand: Gabriele Edlbauer, Matthias Krinzinger, Sophia Mairer und Maria Walcher waren eingeladen, über mehrere Monate immer wieder vor Ort zu wohnen und zu arbeiten. Die Auseinandersetzung im ortsbezogenen Kontext ist in dieser Ausstellung essentiell. Alle Arbeiten thematisieren die Auflösung von hierarchischen Prinzipien und Formen auf unterschiedliche Art und Weise. Dabei spielen sowohl vorgegebene gesellschaftliche Strukturen eine Rolle, als auch der Versuch daraus auszubrechen oder sie neu zu interpretieren.
Dieses erste Ausstellungsjahr ist als Experiment im Prozess zu verstehen. Nicht nur die Kulisse, sondern auch die Wahrnehmung der Ausstellung wird ständig eine andere sein. Zusätzlich spielen eine Reihe von Fragestellungen eine Rolle, die ich im Folgenden zu skizzieren versuche: