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Gegenwart kuratieren

Sie sollen pflegen, vertreten, Vormund sein. So verlangt es zumindest der lateinische Ursprung ihrer Berufsbezeichnung. Heute sind Kurator*innen viel mehr: Sie wählen aus, interpretieren, gestalten den Diskurs mit. Sie sind überflüssig – meinen manche, neutrale Persönlichkeiten sind sie mit Sicherheit nicht – das wissen die meisten. Wie Kurator*innen aus unserem Umfeld arbeiten, das wollten wir für unseren aktuellen Themenschwerpunkt wissen. Im Gespräch haben wir erfahren, welche Künstler*innen sie gerade spannend finden, welche künstlerische Position sie schon lange verfolgen, aber bisher vielleicht noch nicht ausstellen konnten, welche Themen aus ihrer Sicht dringend besprochen gehören und woher ihre Ideen kommen. Und wo sie sich informieren, was hören/lesen/sehen haben uns auch einige von ihnen noch verraten. Daraus entstand ein persönlicher Zugang zu Kurator*innen und ein noch persönlicherer zu ihren Künstler*innen.

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Bart van der Heide & David Medalla 
& Anna Oppermann

Bart van der Heide ist neu in Bozen. Nach Stationen als Direktor des Kunstvereins München und als Chefkurator im Stedelijk Museum in Amsterdam ist der Niederländer seit heuer Leiter des Museion – Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen. Noch hat er sein Programm für die Südtiroler Institution nicht veröffentlicht, im Gespräch mit uns hat er mit seinen vorgeschlagenen Künstler*innen aber wohl schon eine Richtung vorgegeben, wie seine geplanten Ausstellungen sich gestalten könnten. Nicht nur zeitgenössische, junge Künstler*innen, sondern auch historische Positionen möchte er zeigen und damit Generationen verbinden. Wir haben uns mit Bart van der Heide über die Kunst von David Medalla und Anna Oppermann unterhalten und dazu interessante Anknüpfungspunkte für euch und uns gesammelt. Aber jetzt scrollt selbst!

David Medalla
The Mondrian Fan Club (David Medalla & Adam Nankervis), Mondrian in Excelsis, Fire Island, New York, 1993, Courtesy: the artist

Quelle Titelbild: Klick

Für mich ist etwas aber auch nur zeitgenössisch, wenn es eine gewisse Dringlichkeit aufweist und diese Dringlichkeit lässt sich über Gesellschaft, Kultur aber auch über eine Sammlung bestätigen.

 Bart van der Heide

Bild:  Luca Guadagnini

Bart van der Heide

Bart van der Heide (*1974) ist Museumsleiter in Bozen. Der Kunsthistoriker war zwischen 2015 und 2018 Chefkurator und Forschungsleiter am Stedelijk Museum in Amsterdam und von 2010 bis 2015 Direktor des Kunstvereins München. Er organisierte u.a. Soloshows von Mohamed Bourouissa, Jana Euler, Günter Jörg oder Jon Rafman.

Bart van der Heide: Bei mir gibt es mehrere Persönlichkeiten, die ich gerne ausstellen möchte. Als Kunsthistoriker sind für mich historische Positionen ebenso wichtig wie zeitgenössische. Ich würde deshalb gern über zwei Schlüsselfiguren sprechen, die meiner Meinung nach einen Austausch über die Generationen ermöglichen, gegenwärtige Praxis und mein eigenes theoretisches Nachdenken über einen Zeitgeist mit ihren Arbeiten gut illustrieren. Das sind David Medalla und Anna Oppermann.

Wie hast du David Medalla kennengelernt?

Medalla ist für mich ein Pionier der Kinetik, der Performance und participation art aber auch der Konzeptkunst, also wirklich ein Pionier der zeitgenössischen Kunst. Er ist inzwischen 78 Jahre alt und ich habe ihn kennengelernt während meiner Zeit in London. Ich habe ihn 2016 auch für den Hepworth Sculpture Prize vorgeschlagen. Er ist eine Figur, die vom im Hintergrund aus großen Einfluss ausübt, institutionell aber hat er relativ wenig Sichtbarkeit. Trotzdem war er bei der documenta 5, 1972 geleitet von Harald Szeemann, vertreten. Er eröffnete in den Sechzigern seine „Signals Gallery“, die zwei Jahre lang in London der Treffpunkt und Ausstellungsort der internationalen Avantgarde war. Und er hatte großen Einfluss auf andere Projekte wie „artists for democracy“ oder „exploding galaxies“.

Was interessiert dich an Medalla?

Seine Arbeit ist voll von persönlichen Erfahrungen und tiefer Freundschaft, ich würde sagen, sie hat eine sehr menschliche Dimension, die mir imponiert. Er kommt aus den Philippinen, von wo er natürlich auch eine ganze Welt an Eindrücken und eine eigene künstlerische Sprache mitbringt. Mich beeindrucken etwa seine imposanten Schaumskulpturen, die man zuletzt auch in der Sammlungsausstellung der Tate Modern gesehen hat. Was er gemacht hat, habe ich stets beobachtet, im Hinterkopf behalten, gezeigt habe ich Medalla bisher aber noch nicht. Anders als Anna Oppermann, die habe ich 2013 zum ersten Mal im Rahmen von „curated by“ in Wien schon einmal ausgestellt. 2007 habe ich ihre Werke erstmals in der Generali Foundation kennengelernt.

Quasi Liebe auf den ersten Blick?

Ich muss sagen, ihre Arbeiten haben mich wirklich unglaublich beeindruckt. Auch sie hat so einen großen Einfluss auf andere Künstler. Sie realisiert große Installationen, die im Kleinen beginnen und sich ständig neu reproduzieren – Ebene für Ebene. Ein komplexes Netzwerk entsteht. Oppermann bringt dadurch sehr subtil Kritik an, die Rolle von Kunst und ihre Reproduktion betreffend. Mich interessiert bei ihr das Nachdenken über die Funktion, das Transformieren des Alltäglichen in Kunst. Das ist für mich generell ein zentrales Überlegungsmoment. Ich würde sagen, darüber kann man auch die Brücke zu Medalla schlagen. Er arbeitet auf einer informellen Ebene, während Oppermann diese Transformation, die fließenden Momente, in klassischen, ästhetischen Formate wie Leinwand oder Skulptur festhält. Bei Medalla hingegen ist auch das Material in Bewegung. Da verweise ich nochmal auf seine Schaumskulpturen, deren Form nicht festgelegt ist und die langsam verschwinden.

Wie passen die beiden Künstler*innen ins Museion?

Ich weiß noch gar nicht, in welchem Kontext ich sie zeigen könnte. Aber ganz grundsätzlich ist es wie gesagt dieser Transformationsprozess, der mich interessiert. Dieses Moment passt auch zu meinem neuen Programm und der Neuausrichtung des Hauses hier in Bozen. Die Flexibilität ist gerade in der Verbindung mit der Öffentlichkeit ganz zentral. Wir wollen nicht nur ein Ausstellungsort sein, sondern eine Verbindung zum Alltag schaffen – auch um unserem Alltag neue Perspektiven zu bieten.

Welche Diskussionen können die historischen Positionen der beiden Künstler*innen in der Gegenwart auslösen?

Ich würde die beiden natürlich in einem zeitgenössischen Blickfeld diskutieren: Bei Oppermann geht es ja auch ganz stark um Kunst- und Bilddistribution, um die zeitgenössische Bilderflut, um Fragen der Rückverfolgung und Urheberschaft. Spuren von Bildern und Abbildungen stehen im Werk von Oppermann im Mittelpunkt: Sie präsentiert dem*r Betrachter*in ein komplexes System, ein Netzwerk, in dem Quellen längst hinfällig sind. Wirklich festzumachen ist lediglich das Material, das sich in einer Ecke ausbreitet, alles andere ist flüchtig. Jedes Netzwerk hinterlässt aber auch seine Spuren, darin ist auch der kritische Charakter von Oppermann verankert. In einer digitalen Welt ist es wichtig, nicht nur dem Bild selbst kritisch gegenübertreten, sondern auch Quellen zu hinterfragen und Spuren zu identifizieren. Bei Medalla hingegen sind Fragen zu neuen Systemen von Gesellschaft oder Verwandtschaft interessant, ebenso wie zu Communities – also Verbindungen abseits von biologischen Verwandtschaften. Das habe ich mit dem Moment der Freundschaft gemeint. Auch seine eigene Funktion hat er auf die Waagschale gelegt und schon Ende der Fünfziger gewusst, dass der Kunstschaffende nicht nur Objekte produziert, sondern auch als Teil eines Systems wahrgenommen wird – mit unterschiedlichen Funktionen: Medalla war Künstler, Galerist, Verleger.

Welche Themen sind für dich in Ausstellungen gerade am dringlichsten?

Mich persönlich interessieren aktuell besonders diese humanistische Positionen und Themen. Gerade in einem technologisch geprägten Bildungsumfeld, wo geisteswissenschaftliche Diskussionen an den Rand gedrängt werden, sollten wir den Menschen wieder ins Zentrum stellen. Und fragen: Was unterscheidet uns heute noch von Maschinen?

Wieso fallen dir spontan diese historischen Positionen ein?

Das hat mit meiner Art der Arbeit zu tun: Ich versuche in meinen Ausstellungen, zeitgenössischen Künstler*innen eine historische Plattform zu geben. Damit möchte ich auf diese sehr marktorientierte Kunstwelt reagieren, die sich ständig an den Akademien nach den jüngsten Talenten umsieht. Keiner fragt mehr nach einer Einordnung, einem Bezug zur Vergangenheit. Gerade im Kunstmarkt gibt es eine strikte Trennung zwischen den Generationen. Viele junge Künstler*innen machen sehr früh eine steile Karriere, sind dann nach zehn Jahren aber verbraucht, werden von einer wiederrum jüngeren Generation ersetzt. Ich glaube, junge Künstler*innen brauchen ein historisches Fundament, auch um die Dringlichkeit ihrer Arbeit zu bestätigen und um einen weiteren Karrieresprung machen zu können. Diese Funktion sollte ein Museum erbringen, weil es ja im klassischen Sinne auch als Sammlungs- und Ausstellungsort fungiert.

Darin siehst du auch die Aufgabe des Museion in Bozen?

Auf jeden Fall. Ich möchte mich in Bozen niemals nur auf eine Richtung, eine Generation exklusiv reduzieren. Was für mich wichtig ist: ein Haus mit internationaler Ausrichtung aber regionaler Bedeutung zu etablieren. Für mich ist etwas aber auch nur zeitgenössisch, wenn es eine gewisse Dringlichkeit aufweist und diese Dringlichkeit lässt sich über Gesellschaft, Kultur aber auch über eine Sammlung bestätigen. Unsere Sammlung bleibt natürlich unser data base für unsere kulturelle Identität.

Hat sich deine Arbeitspraxis zwischen Amsterdam, München und Bozen verändert?

Ich würde sagen, der Ort beeinflusst das Programm. Ganz besonders hier in Bozen zählt die Verbindung von international und regional, dafür braucht man ein überzeugendes Narrativ, ein schlüssiges Programm. Postkoloniale und identitätspolitische Theorien haben auch die Institutionen eingeholt, Museen sind nicht mehr die einzigen Experten. Es gibt aber noch einiges zu tun in unserer Wahrnehmung: Auch wenn Programme möglichst divers gestaltet werden, die Entscheidungsträger kommen nach wie vor vorwiegend aus dem Establishment. Für mich muss sich ein Museum öffnen und dem Publikum, das es erreichen will, gewissermaßen ein Mitspracherecht gewähren, zumindest was soziale und gesellschaftliche Formate anbelangt.

Wie bereitest du dich auf eine Ausstellung vor?

Ich kann gerade was die Auswahl anbelangt glücklicherweise schon auf ein großes Netzwerk zurückgreifen, man verfolgt viele Künstler*innen und wenn der richtige Zeitpunkt kommt, dann entwickeln sich Gespräche in eine konkrete Richtung. Auch bei mir entsteht eine Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit dem*r Künstler*in. Warum ich überhaupt in die Ausstellungspraxis hineingerutscht bin: Als Kunsthistoriker bin ich natürlich sehr am theoretischen Hintergrund interessiert, das akademische Feld war aber nicht der richtige Ort, um meine Ideen zu entwickeln. Mit Künstler*innen zusammen konnte ich meine Ideen aber umsetzen, deshalb kuratiere ich eigentlich. Auch weil sich im Zuge einer Ausstellung meine theoretischen Denkräume immer weiterentwickeln.

NäCHSTER BEITrAG

"Gegenwärtig vermitteln", hier.

* 1938 Philippinen, lebt in London

Pavillon der Gemeinschaft

Quelle: HIER klicken

David Medalla (*1942) ist ein Pionier der Land Art, der kinetischen Kunst und der Performance Art. Geboren in Manila studierte schon als Zwölfjähriger in der New Yorker Columbia University. 1963 realisierte Medalla seine erste biokinetische Arbeit, die „Schaum-Maschine“ (Cloud Canyons (Cloud Gates)), in den Jahrzehnten darauf entstanden etliche weitere. Medalla war Gründer und Leiter der Signals Gallery (1964), der Künstlervereinigung "Exploding Galaxies" (1967) und der Initiative "Artists for Democracy" (1974–1977). Er unterrichtete in Europa und in den USA; seine Werke wurden u.a. auf der Kasseler documenta 5 (1972) gezeigt.

“All my work is informed by personal experience. It is the seed to which I apply a transcendent dialogue.”

(David Medalla 2011 im Interview mit Adam Nankervis im Mousse-Magazine, http://moussemagazine.it/david-medalla-adam-nankervis-2011/)

David Medalla

David Medalla and Adam Nankervis in front of the Mayflower Barn, 1994
digital c-print

40 x 30 in

101.6 x 76.2 cm

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CLOUD CANYONS BY DAVID MEDALLA, 1964 © CLAY PERRY, ENGLAND & CO.

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David Medalla with Lygia Clark sculpture, Signals Gallery, London Vintage print 7 3/4 × 11 3/4 in 19.7 × 29.8 cm

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"Gegenwärtig vermitteln", hier.

“Komplexität muss ja irgendwo auf der Welt noch einen Stellenwert haben!”

– Anna Oppermann

Anna Oppermann, 1985
Quelle: Wikipedia

Anna Oppermann (1940-1993) war eine deutsche Künstlerin. Sie studierte Grafik und Malerei an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, ab 1990 hatte sie eine Professur an der Hochschule der Künste Berlin inne. Ihre Ensembles waren u.a. schon im Kunstverein Hamburg oder im Bonner Kunstverein ausgestellt, ihre Arbeiten waren auch auf der documenta 6 und 8 oder auf den Biennalen in Venedig oder Sydney zu sehen. 1993 starb die Künstlerin in Celle.

“Die Form des Ensembles ist mein Interaktionsangebot. Einigen scheint es subjektivistisch, autistisch, monoman. Dabei wäre ich gerne Vermittler zwischen den verschiedenen Disziplinen, zwischen Ratio und sinnlicher Wahrnehmung, zwischen Kunst und Wissenschaft, Normalbürger und Außenseiter.“

– Anna Oppermann

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