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Eine Frage des Raums

Was macht den Alpenraum aus – für Künstler*innen, Kulturakteur*innen und Interessierte? Diese Raumfrage stellen wir seit Monaten und haben viele interessante Stimmen aus der zeitgenössischen Kunst eingefangen. Zeit, um die Komfortzone mal kurz zu verlassen. Das bedeutet für uns hin zu Initiativen, die einen größeren kulturellen Bereich abdecken, aber trotzdem ganz klar in einem geographischen Umfeld verortbar sind. Weil wir Gegensätze mögen, haben wir in der Stadt (Bozen) und am Land (im Bregenzerwald) nach Antworten und neuen Fragen gegraben. Zuerst sind wir auf Tour gegangen mit Bolzanism, einer Initiative, die Kultur außerhalb des Bozner Zentrums in einem eigens eröffneten“Freiluftmuseum” fördert und ganz nebenbei die Gegenwart des Viertels Don Bosco über die Geschichte neu schreibt. Auf ihrer Website geben die Bolzanismis die These vor, dass Besucher*innen Bozen-West nie mehr mit denselben Augen sehen werden. Das können wir bestätigen. Was die Experience so besonders macht, erfahrt ihr im Interview. Gesprochen haben wir außerdem mit Veronika Sutterlüty, die im Bregenzerwald dafür zuständig ist, dass sich Kultur entwickelt. Wie? Mit Vernetzung lautet die Devise ihres “Kulturbüros Bregenzerwald”, eine Initiative, die besondererweise nicht von der Szene selbst kommt, sondern von der Politik gewünscht wurde. Was das alles mit der europäischen Kulturstadt zu tun hat, lest ihr weiter unten. Viel Spaß mit den vielen Raumfragen!

Titelbild: Barbara Marte/Bild oben: BfG

Bolzanism Museum

Bolzanism Museum definiert sich selbst als „Museum des sozialen Wohnbaus und der Menschen, die dort leben“. Diese Bezeichnung ist natürlich korrekt. Dennoch passt in die paar Worte nicht annähernd die Fülle an Inhalten, die man bei einem Besuch im großen Freilichtmuseum in Bozen erhält. Die fälschlicherweise (Achtung Diskussionspunkt! Horche dazu bitte Audiospur) oft als peripher eingestuften Viertel von Bozen, Don Bosco und Europa-Neustift, sind der Schauplatz des Bolzanism Museum oder besser SIND das Bolzanism Museum. Hier haben ein paar junge Researcher*innen, Architekt*innen und Kunsthistoriker*innen es sich zur Aufgabe gemacht die Geschichte dieses Viertels, seiner Bauten und der Menschen, die diese bewohnen, mit dem Rest der Welt zu teilen. Wie sie das machen? Es gibt zwei Möglichkeiten, diesen Teil der Stadt – oder wie die Expert*innen ihn mittlerweile nennen: Bozen West – zu entdecken: entweder in einer der Wandertheateraufführungen (Bolzanism Walk), wo Performer*innen auf unterhaltsame Art und Weise den Stadtteil erzählen, oder bei einer geführten Tour mit Expert*innen aus Architektur und Kunstgeschichte (Bolzanism Discover).

Foto: Bolzanism 

Team Bolzanism

Pietro V. Ambrosini ist Architekt, Designer und Kulturaktivist. Er studierte Architektur in Venedig und Mailand und gründete im Alter von 26 Jahren Campomarzio, ein multidisziplinäres Kollektiv für Architektur und Forschung, welches im Laufe der Jahre zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen erhielt.

Margherita Delmonego ist eine zeitgenössische Kunsthistorikerin, die sich auf Stadterneuerung und soziale Innovation spezialisiert hat. Sie arbeitet zwischen Bozen und dem Vallagarina-Tal im Bereich der kulturellen Planung und Kommunikation. Im Rahmen von Cooperativa 19, einem Kulturbetrieb und Produktionshaus aus Bozen, arbeitet sie seit 2018 am Projekt Bolzanism mit.

Bürobesuch bei Bolzanism

Talk mit Bolzanism

„In the beginning we used to call it periphery, but this concept changed over the years, thanks to this idea of bringing attention here and telling the stories of these neighborhoods that were just as important in defining the identity of Bolzano as the center.“ Margherita Delmonego

Foto: Bolzanism 

Bild: Barbara Marte

Kulturbüro Bregenzerwald

Das Kulturbüro Bregenzerwald ist eine Initiative der Regio Bregenzerwald, die 24 Gemeinden bündelt. Eröffnet wurde das Kulturbüro 2019, geleitet wird es von Veronika Sutterlüty. Das Kulturbüro versteht sich als Plattform, das Interessierte, Initiativen und Kulturschaffende zusammenbringt, um gemeinsam Kultur zu fördern ebenso wie an der Sichtbarkeit von Kultur in der Region zu arbeiten. Dafür wurden unterschiedliche Formate geschaffen und angeboten. Eines davon ist die Projektschmiede, in der kulturelle Projekte anderen Interessieren vorgestellt und diskutiert werden. Im Idealfall wird dann auch gemeinsam an der Umsetzung gearbeitet.

Foto: Barbara Marte

Foto: Isabella Koeb

Veronika Sutterlüty

Veronika Sutterlüty (*1984) ist Kulturmanagerin in Egg im Bregenzerwald. Nach ihrem Studium in Innsbruck hat sie in Wien u. a. für das Haus der Musik gearbeitet, zurück in ihrer Heimat als Produktionsleiterin im Musiktheater Vorarlberg. Sie ist außerdem Initiatorin und Leiterin des Vereins „KUNO Kinderkultur“.

„Die Kulturschaffenden im Bregenzerwald wünschen sich eine Community. Für die Sparte der zeitgenössischen, bildenden Kunst kann ich sagen, dass der Wunsch nach gemeinsamen Räumen dominiert.“ Veronika Sutterlüty

Welche Rolle spielt die Kultur im Bregenzerwald?

Der Kulturbegriff ist so ein weitreichender, vielumfassender, dass es hier schon fast eine Kunst ist, den richtigen Terminus zu finden. Aber generell kann gesagt werden, dass Kunst und Kultur in ganz vielen Bereichen und Ortschaften im Bregenzerwald angesiedelt sind. Oftmals – oder ursprünglich – ist die traditionelle Auseinandersetzung mit diesem Thema sehr wichtig mit all seiner Forschung, Mundart, Trachten oder Archivierungsbeständen. Um zu erkennen, wie wichtig die Kultur im Bregenzerwald ist, muss man nicht sonderlich lange suchen. Die Veranstaltungen, Projekte und Initiativen werden vielfach von ehrenamtlichen Kultur- und Kunstschaffenden getragen. So zählt der Bregenzerwald allein schon über 30 Chöre, 18 Büchereien, 14 über die Region hinaus wirkende, ausgezeichnete Museen, usw. Kultur ist im Bregenzerwald keine eintönige Musik, vielmehr gleicht es einer Klaviatur an großartigem Kulturgut, welches von Menschen aus der Region ermöglicht wird. Manche Tasten sind gut besetzt, manche sind eher unterbesetzt. Aber genau hier greift das Kulturbüro. Vorhandenes wird eruiert, unterbesetzte Bereiche werden geprüft, Kooperationen angeregt und die Politik auf die Umstände aufmerksam gemacht.

Was hat sich an deiner persönlichen Arbeit zwischen Wien und Egg verändert?

Es ist eine viel gemeinschaftlichere Tätigkeit hier im Bregenzerwald. Man kennt sich oftmals schon seit Kindertagen, wie es eben auf dem Land üblich ist. Dies ermöglicht einen ziemlich einfachen Einstieg in das Metier der Regionalentwicklung. Netzwerke werden recht simpel aufgebaut, das Du ist Usus und die Kontaktaufnahme leger. Kurze Wege, schnelle Entscheidungen sind das Ergebnis infolgedessen. Aber wie jede Medaille hat auch diese zwei Seiten: Man kennt sich, die Familienzugehörigkeit ist sehr wichtig – die individuelle Persönlichkeit hingegen erst beim näheren Kennenlernen, die Anonymität fehlt vollkommen, das Interesse über persönliche Angelegenheiten ist zu meiner Verwunderung sehr groß und es gibt spärlich Platz fürs Scheitern. 
In Wien war ich im Haus der Musik für Events und Kommunikation tätig, es war also eher eine Arbeit mit renommierten Kulturakteur*innen, internationalen Manager*innen oder Wiener Kolleg*innen. Im Bregenzerwald ist es eine Auseinandersetzung mit hauptsächlich ehrenamtlichen Kultur-, Kunst- und Kreativschaffenden. Das interessiert mich wahnsinnig. Es ist toll zu sehen, dass die Bregenzerwälder*innen nicht nur hier wohnen und arbeiten, sondern sich auch gut und gerne für das Gemeinwohl engagieren. Hier betreue ich Projekte außerdem auf eine längere Zeit; ich bin Teil eines Prozesses.

Was verbindest du mit dem ländlichen Raum bzw. wie hat sich deine Sichtweise darauf verändert?

Ich bin ja im Bregenzerwald aufgewachsen. Von daher waren das menschliche Klima und die Gegebenheiten in der Heimat keine große Überraschung für mich. Was sich allerdings sehr verändert hat, ist mein Blick für Ästhetisches, für Qualität. Ich habe den Bregenzerwald für mein Studium verlassen und damals hatte ich diese Perspektive noch nicht. Damals war mein Hauptaugenmerk auf soziale Kontakte gerichtet. Interessanterweise bin ich heute „langsamer“ unterwegs; was vermutlich auch dem Umstand geschuldet ist, dass ich damals in den lustigen Anfang-Zwanzigerjahren war und heute in den phänomenalen End-Dreißigern.

Welche Herausforderungen gibt es für das Kulturbüro Bregenzerwald? Was wünschen sich die dort lebenden Kulturschaffenden?

Die Kulturschaffenden im Bregenzerwald wünschen sich ein Netzwerk und Wertschätzung. Sie möchten wissen, wer sich für Kultur einsetzt, sich interessiert oder auch wer selbst Kunst macht und mit wem man bei künftigen Projekten kooperieren könnte. Sie wünschen sich Beratung zu organisatorischen und inhaltlichen Fragen, sie wünschen sich, ganz wichtig, Raum für Begegnung und gemeinsames Arbeiten, sie wünschen sich eine Community. Einfach gesagt, das Gemeinschaftsgefühl, das wiederum die kulturelle Entwicklung enorm fördert. Ich für meinen Teil wünsche ihnen ernsthafte Aufträge seitens der Politik. Ausschreibungen für Kunst am Bau, Strukturen die auch regionale Künstler*innen beachten, wenn Kunst im öffentlichen Raum angedacht wird, faire Gagen, wenn es zur Umsetzung kommt. 

Welche Themen sind inhaltlich am drängendsten, welche Fragestellungen werden von den Kulturschaffenden in Kulturarbeit umgesetzt? Oder: Kann man bei den Einreichungen der Projektschmiede thematische Tendenzen ablesen?

Da ich mich 2022 ausführlich mit der zeitgenössischen Kunst beschäftige, kann ich für diese Sparte sagen, dass der Wunsch nach gemeinsamen Räumen dominiert. Gemeinsame Ateliers als Treffpunkt, Lernplattform und Austausch sind gefragt. Die Projektschmiede zeigt keine klaren Tendenzen auf, war aber schon sehr oft eine gute Kontaktstelle für Projekte, deren Initiator*innen nicht im Bregenzerwald wohnhaft sind. Beispielhaft leben Elena Bechter und Viatcheslav Kushkov in Berlin und haben bei der Projektschmiede ihre Idee vorgestellt, waren kritischen Fragen ausgesetzt und haben gute Kontakte knüpfen können. Auch Sara-Lisa Bals hat ihr Kunstprojekt „Cumernustag“ von Wien aus vorgestellt und konnte in diesem Zuge auch gleich Interessierte sowie Kritiker*innen mit ihrer Idee abholen. 

Glaubst du, der ländliche Raum hat 2022 eine bestimmte künstlerische Handschrift?

Generell geht es jetzt im Abflauen der Pandemie allen wieder darum, dass wieder gestaltet und veranstaltet werden kann. Wobei man mit der aktuellen Situation schon wieder einen flauen Magen bei der Programmierung des Herbstes bekommt. Ich hoffe, ich kann 2022 einen Anstoß geben, zeitgenössischer Kunst im Bregenzerwald dauerhaft einen Platz zu geben. Erfreulicherweise bekommt die Region ein Haus für Theater und Film in einem charmanten ehemaligen Gasthaus. Ein wunderschöner Ort für Kunst und Kultur, der dank zwei ehrenamtlicher Vereine und vieler Helfer*innen auf deren Eigeninitiative installiert wird.

Was sind generell in der zeitgenössischen Kunst die größten Hürden?

Generell kann beobachtet werden, dass die raren Verkaufsmöglichkeiten, die steigenden Kosten für Lebensunterhalt, Atelierräume und Material Künstler*innen in eine ökonomisch desaströse Situation hineinkatapuliert und künstlerische Arbeit in Freiheit und Sicherheit verhindert.

Was ist von der Initiative Kulturhauptstadt Dornbirn+ 2024 geblieben?

Der Prozess war für unsere Region in jedem Fall sehr wichtig. Es wurden teils Strukturen geschaffen, Institutionen, Kooperationen, die bis heute wirken. Für einige war es auch erstmals ein konkreter Anlass – auch branchenübergreifend – zusammenzuarbeiten. Die Initiative hat weiters ein Bewusstsein für Kultur- und Kreativwirtschaft geschaffen. Wie das Projekt konkret umgesetzt worden wäre und welche regionalen Partner*innen mit an Bord gewesen wären, kann nur vermutet werden. Bestenfalls wären nachhaltige Strukturen geschaffen worden, die es den Menschen hier ermöglicht, selbst Kultur und Kunst zu machen, zu fördern und sich vom internationalen Flair der Kulturhauptstadt inspirieren zu lassen.

größere, dicht geschlossene Siedlung, die mit bestimmten Rechten ausgestattet ist und den verwaltungsmäßigen, wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt eines Gebietes darstellt; große Ansammlung von Häusern [und öffentlichen Gebäuden], in der viele Menschen in einer Verwaltungseinheit leben

Gebiet außerhalb der städtischen Zivilisation, das besonders durch das Betreiben von Landwirtschaft geprägt ist; dörfliche Gegend

Gegend, in der (mit großstädtischem Maßstab gemessen) in kultureller, gesellschaftlicher Hinsicht im Allgemeinen wenig geboten wird

Randgebiet, -bezirk, -zone

BEISPIELE
an der Peripherie der Stadt
〈in übertragener Bedeutung:〉 machtpolitisch an die Peripherie gerückt werden

ländlich, bäuerlich

städtisch, für die Stadt, für städtisches Leben charakteristisch

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