Kunst:Es ward Licht

Kunst: Wer den Fuß in die Haupthalle des Museums auf dem Domberg setzt, sieht zuerst ein Glühen. Die "Kapelle des Heiligen Lukas" hat der amerikanische Künstler James Turrell gestaltet. In ihrem Inneren verlieren sich Raum und Zeit im ewigen Wechsel der Farben.

Wer den Fuß in die Haupthalle des Museums auf dem Domberg setzt, sieht zuerst ein Glühen. Die "Kapelle des Heiligen Lukas" hat der amerikanische Künstler James Turrell gestaltet. In ihrem Inneren verlieren sich Raum und Zeit im ewigen Wechsel der Farben.

(Foto: © James Turrell, Photo by: Florian Holzherr)

James Turrell ist einer der größten Künstler unserer Zeit. Während die Religionen verblassen, erstrahlen seine von Spiritualität geprägten Werke hell. Für das neue Dombergmuseum hat er eine Kapelle erschaffen, die kaum einer als derselbe verlässt, als der er sie betreten hat. Wie kann das sein?

Interview von Susanne Hermanski

Es spricht sich langsam herum. Bayern hat ein neues Museum. Es ist das schönste des Freistaats. Blickachsen durch sein Inneres und ins Freie, auf Himmel und Erde tun sich auf in diesem Gebäude, das auf dem Domberg hoch über Freising steht. Davon können die Direktoren der stolzen Konkurrenz in der Landeshauptstadt nur träumen. Genau gesagt ist dieses Museum nicht ganz neu. Doch die Umgestaltung des alten Diözesanmuseums, das vor Jahren wegen Brandschutzproblemen geschlossen werde musste, ist derart mutig und weit gegangen, fast möchte man Mutter Kirche selbst wünschen, sie könnte ihre Fenster derart aufreißen und Licht, Luft und Weite einziehen lassen.

Dass die Exponate im Inneren exquisit sind, ist angesichts der Bestände aus denen die Katholische Kirche schöpft, im Grunde selbstverständlich. Dass die Präsentation so modern wie emotional fesselnd ist, verdankt sie ihrem Direktor Christoph Kürzeder und seinem Team. Dass das Haus nun aber zu einer Art "Nabel der Welt" geworden ist, das hat James Turrell geschafft. Kunstfreunde haben lange darum gerungen, eines der begehrten Werke des Amerikaners, der selbst ein bisschen aussieht wie Gottvater an der Decke der Sixtina, für die Öffentlichkeit nach München zu holen. Ohne Erfolg. Nun pilgern die Menschen stattdessen nach Freising.

James Turrell war für die Planung nur einmal dort, doch er beschäftigte sich eingehend mit dem Ort und der Hauskapelle des ehemaligen Freisinger Knabenseminars und heutigen Museums, an deren Stelle nun seine "Chapel for Luke and his scribe Lucius the Cyrene" steht. Worum es in seiner Kunst geht, erzählt der 79-Jährige mit sonorer Stimme. Über seiner linken Brust prangt auf seinem Hemd, da wo bei anderen Leuten das Logo irgendeiner Sportmarke steht, das Wort "Light".

Kunst: Der Künstler James Turrell zu Besuch auf dem Domberg Freising im Diözesanmuseum, zur Planung der Chapel for Luke, mit dem Direktor des Hauses, Christoph Kürzeder (rechts), dem Münchner Architekten Walter Achatz, der die Kapelle umgesetzt hat (2.v. rechts), der stellvertretenden Museumsdirektorin Carmen Roll, sowie Turrells Galerist Wolfgang Häusler (2.v.l.).

Der Künstler James Turrell zu Besuch auf dem Domberg Freising im Diözesanmuseum, zur Planung der Chapel for Luke, mit dem Direktor des Hauses, Christoph Kürzeder (rechts), dem Münchner Architekten Walter Achatz, der die Kapelle umgesetzt hat (2.v. rechts), der stellvertretenden Museumsdirektorin Carmen Roll, sowie Turrells Galerist Wolfgang Häusler (2.v.l.).

(Foto: Diözesanmuseum Freising/Thomas Dashuber)

SZ: In Mitteleuropa schwindet die Bedeutung der Religionen, doch die Sehnsucht nach Spiritualität hat Hochkonjunktur. Kann Kunst Religion ersetzen?

James Turrell: Zunächst mal ist Religion ohne Kunst nicht vorstellbar. Besonders der katholische Glaube erscheint mir damit untrennbar verwoben, ich selbst stamme aber aus einer Quäker-Familie. Denken Sie an Bezalel, den allerersten Künstler, der in der Schrift erwähnt ist. Moses beauftragte ihn damit, das Zeltheiligtum und das Tabernakel zu gestalten.

Braucht die Kirche den Künstler?

Die Künstler waren über Jahrhunderte die Mägde der religiösen Klasse. Sie wurden finanziell immer von der Kirche gefördert. Wie übrigens die Wissenschaftler die Mägde der Klasse der Krieger waren. Erinnern Sie sich allein, was die Physiker Heisenberg und Einstein getan haben, indem sie die Atomwaffen entwickelten. Aber zurück zur Kirche: Die war elementar für alles, was sich etwa an Malerei in Europa entwickelt hat. Das Phänomen der privaten Sammler gibt es ja noch gar nicht lang. Und die Künstler haben sich ja oft auch sehr gerieben an ihren kirchlichen Auftraggebern und in so manches Kunstwerk eine Spitze eingebaut.

Wer ihre Kapelle betritt, muss am Ende einer geländerlosen Treppe eine Schwelle überschreiten. Das bringt so manchen aus dem Gleichgewicht. Im Volksglauben Bayerns sagt man, solche Schwellen dienen zur Abwehr der Dämonen - die könnten nicht hochhüpfen. Was hat es auf sich mit Saint Lukas' Schwelle?

Das bleibt mein Geheimnis. Aber wie gesagt, so manches Mal baut der Künstler kleine Besonderheiten ein...

Im Inneren macht der Besucher eine Erfahrung der Unendlichkeit. Wie funktioniert das?

Es gibt dort keinen Horizont. Stellen Sie sich das vor wie in einem Schneesturm, da verlieren Sie irgendwann das Gefühl für oben und unten, am Ende vielleicht sogar für sich selbst. Man spricht dann von einem "Whiteout".

Kunst: James Turrell zu Besuch auf dem Domberg Freising.

James Turrell zu Besuch auf dem Domberg Freising.

(Foto: Diözesanmuseum Freising/Thomas Dashuber)

Nur ist in Ihren Werken überall farbiges Licht, Sie sprechen von "Ganzfeldern".

Es geht aber auch harmloser. Wenn Sie ein Buch lesen, dann werden Sie von dieser Welt im Idealfall auch vollkommen in Beschlag genommen. Dann laufen Menschen an ihnen vorbei, und Sie nehmen noch nicht mal Notiz von ihnen. Oder denken Sie an die Leute, die neben Ihnen auf dem Highway im Auto sitzen und lauthals singen. Die sind auch ganz abgetaucht. Nur hofft man bei denen, dass sie mit einem Rest an Aufmerksamkeit doch noch im Hier und Jetzt sind.

Klar, sonst scheppert's.

Genau. Wir sind spirituelle Wesen, die physische Erfahrungen machen. Deswegen sind wir oft kaum in dieser Welt. Dann wird die literarische Welt realer als die, in der Sie sitzen und das Buch lesen.

Die Lukas-Kapelle verlassen nicht wenige Besucher grundlegend verändert. Eine Dame hat etwa gesagt, Sie sei dankbar, sie habe nun ihren Grabspruch gefunden. Berühren Sie solche Reaktionen?

Kunst sollte genau so wirken. Ich glaube, Musik ist die expressivste Kunstform, die das am allerbesten kann. Denken sie an die Werke deutscher Komponisten wie Beethoven oder Wagner!

Oder Bach?

Sehr gern! Und genau das sollte die Bildende Kunst auch vermögen. Ich möchte, dass die Betrachter in das Gemälde eintreten, indem sie sich in den Raum der Kapelle begeben. Gemalt wird darin mit Licht. In meinen Skyspaces verfolge ich die Idee: Dort wo die Öffnung zum Himmel ist, will ich den Betrachter in eine andere Bildebene hindurchtreten lassen.

Wieso haben Sie die Kapelle dem Heiligen Lukas gewidmet?

Das war sie schon im ursprünglichen Gebäude. Ich musste da also gar nichts Neues erfinden. Und Lukas ist mir wichtig, er hat uns als Apostel das Christentum und die Theologie wesentlich mitbeschert. Auch wenn ich selbst James heiße, also nach Jakob benannt worden bin.

Kunst: Bei der Planung der neuen Kapelle in der alten. Die war konzipiert für das Knabeninternat auf dem Domberg.

Bei der Planung der neuen Kapelle in der alten. Die war konzipiert für das Knabeninternat auf dem Domberg.

(Foto: Diözesanmuseum Freising/Thomas Dashuber)

Sie haben Geburtstag am selben Tag wie Lukas von Kyrene, der sozusagen im Untertitel dieses Werkes steht.

Ja, "Lucius the scribe". Von ihm leiten sich im Englischen übrigens viele Begriffe ab. Auch weniger erstrebenswerte Zustände - wie "lukewarm", also lauwarm.

Sie haben im Alter von 16 Jahren den Flugschein gemacht. Wollten Sie da schon dem Geheimnis des Himmels auf die Spur kommen?

Wir Menschen empfinden das Hinauf immer besser als das Herab. Das ist doch eigentlich interessant. Wenn man oben ist als Pilot - und speziell wenn Du auf Dein eigenes Zuhause hinunterblickst, das winzig unter Dir liegt - dann macht das etwas mit Dir. Von Piloten sollte man nicht solche Dinge erwarten, dass sie den Rasen mähen oder das Bad putzen. Das erscheint ihnen zu nichtig und klein. Aber heute ist der Himmel meine Leinwand.

War das damals auch schon Ihr Antrieb?

Der Hang zur Fliegerei liegt in der Familie. Mein Vater war Flugingenieur, ein Freund von ihm arbeitete mit Howard Huges (dem legendären Luftfahrpionier und Filmproduzenten, Anm. d. Red.) zusammen und diese Männer griffen irgendwie immer schon nach den Sternen. Naja, oder wie Huges zielten sie gelegentlich auch darauf, Frauen wie Jean Harlow damit zu beeindrucken. Aber ich habe erstmal nur Proviant geflogen.

Und Sie hatten nie Angst da oben, so losgelöst von der Erde?

Beim Fliegen geht es nicht um Angst, da geht es ausschließlich um den Rausch. Wenn Du in dieses Reich über Dir eintrittst, ist das wie ein Traum, fast als würdest du deinen eigenen Körper verlassen. Das ist noch kein spiritueller Zustand, aber es bringt dich dem nahe.

Ist das wünschenswert?

Ich durfte früher Astronauten-Trainings mitmachen. Die Schwerelosigkeit ist eine einzigartige Erfahrung. Erinnern Sie sich an all diese frühen Astronauten - die haben als Rennwagenfahrer und Kampfjet-Piloten angefangen - und sie endeten fast alle irgendwie als religiöse Spinner. Verliert dein Körper seine Last, wirst Du erleuchtet.

Ist es wirklich so einfach?

Naja, jedenfalls teile ich in meiner Kunst ein bisschen was von diesem Gefühl der Schwerelosigkeit mit den Menschen. Und das finde ich wiederum berauschend. Die Menschheit steht überhaupt gerade an einem Punkt, an dem sie ins Unbekannte springt. Auch wenn manche sich fürchten - wie bei den ersten Berührungen in einer neuen sexuellen Beziehung - es geht dabei vor allem um eines: den Rausch des freien Falls.

Kunst: Ein Nabel? Eine Vision des Lichts am Ende des Tunnels? A Chapel for Luke von James Turrell.

Ein Nabel? Eine Vision des Lichts am Ende des Tunnels? A Chapel for Luke von James Turrell.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Ist Lukas' Kapelle nun sowas wie der Nabel der Welt? Der mythische Omphalos, um den sich das ganze Weltgeschehen dreht wie es seit der Antike heißt?

Ich weiß zu schätzen, dass Sie das so empfinden. Ich hoffe natürlich auf so einen Effekt. Manchmal gelingt es mir. Aber ob jemand das spürt, hängt auch immer von der Sensibilität des Besuchers ab.

Welchen Stellenwert nimmt die Arbeit auf dem Domberg in Ihrem Werk ein?

Haben Sie Kinder? Das ist, als würden Sie jemanden fragen, welches sein Lieblingskind ist - das kann, das darf man nicht beantworten. Ich hatte allein 210 Einzelausstellungen in 54 Jahren. Aber ich bin sehr glücklich mit der Kapelle. Und ich bin sehr froh, dass ich sie an dieser Stelle bauen konnte.

Wieso?

Die Gegend, in der Sie leben, ist faszinierend. Bayern und Österreich mit seinem goldenen, barocken Glanz. Und in Deutschland ist so vieles entstanden. Auch Düsteres - aber auch so viel Kraftvolles, Kreatives, Kluges. Manchmal sogar alles in einem. Denken Sie an Wernher von Braun, der uns zum Mond hat fliegen lassen - ausgerechnet mit Raketentechnik. Oder denken Sie an Gutenberg, der dafür gesorgt hat, dass alle teilhaben können an Wissen, und an Martin Luther.

Haben Sie auch mal finstere Stunden?

Klar, wie jeder. Sogar die Heiligen. Mir ist klar, wie wir Menschen das Licht benützen: Wir setzen es ein, um etwas zu offenbaren, was wir nicht erkennen können. Aber ich als Künstler verstehe Licht anders. Für mich ist es die Offenbarung selbst. Dass Licht auch unsere wesentlichste Nahrung ist, brauche ich Ihnen nicht zu erklären - die Sache mit dem Vitamin-D-Haushalt führe ich jetzt nicht näher aus. Jeder, der eine Nahtoderfahrung gemacht hat, beschreibt das mit dem Vokabular des Lichts, das am Ende golden und glorreich scheint.

In diesen Tagen wird Weihnachten gefeiert, das Fest des Lichts. Bedeutet Ihnen Weihnachten noch etwas?

Aber ja. Auch wenn wir es zu einem Kommerzfest deformiert haben. Ich feiere die Geburt Christi.

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