Mai: VALIE EXPORT

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"Facing a Family" (1971), Video, 5:00 min
 

Mit sturem Blick verfolgt die Kleinfamilie das Vorabendprogramm im ORF. Melodien und Slogans sind ihnen vertraut, ansonsten dominiert die Sprachlosigkeit das Abendessen. Mit ihrer Arbeit „Facing a Family“ intervenierte die Medienkünstlerin VALIE EXPORT bereits 1971 in das damals noch junge Massenmedium Fernsehen, indem sie dem Publikum einen Spiegel vorhielt. Fünf Minuten lang sahen die Zuschauer:innen ihren Ebenbildern dabei zu, wie sie stumm auf die flimmernde Leinwand schauen. Mit dem DOCK 20 sprach sie über ihre Auseinandersetzung mit dem Fernsehen als Informationsmedium, das künstlerische Arbeiten mit dem Video in den frühen 1970er Jahren und die Rolle der Familie.


D20: Zunächst zur historischen Kontextualisierung: Wo ist „Facing a Family“ gedreht worden? Wer sind die Darsteller:innen und wie konnten Sie die Arbeit damals in der Fernsehsendung „Kontakte“ ausstrahlen?

VALIE EXPORT: Die Arbeit wurde in Wien gedreht. Die Darsteller waren eine bekannte Familie. Der Mann war Techniker und hat Lichtorgeln selbst hergestellt. Zu dieser Zeit waren Ton und Bild technisch noch sehr aufwändig, und er hat immer wieder für uns gearbeitet. Er war außerdem sehr interessiert an dem Medium und daher bereit, in dem Video mitzuspielen. Ich habe mich in dieser Zeit sehr stark mit Fernsehen beschäftigt, genauer gesagt mit Kunst im Fernsehen. Mich trieb die Frage – was ist überhaupt Fernsehen? Was sind die zentralen Punkte dieses Mediums? Alle schauen die ganze Zeit in diesen Apparat, um Informationen zu bekommen. Ich wollte die Arbeit ursprünglich direkt vor den Nachrichten ausstrahlen, sodass das Publikum sich selbst beim Fernsehen anschaut, aber das wurde leider nicht genehmigt. Die Sendung „Kontakte“ ergab sich dann als Alternative. Mir war es wichtig zu zeigen, was Fernsehen außer der Reportage und der Mitteilung eigentlich ist. Wir haben mit verschiedenen Ideen und Bildern gespielt, zum Beispiel dass man Jalousien herunterlässt, das Bild verschwindet; dann zieht man die Jalousie herauf und sieht wieder das Fenster zum Fernsehen, zum TV. Es gab viele Überlegungen, wie man mit dem Thema arbeiten könnte.

D20: Beim Schauen der Arbeit kamen mir viele Assoziationen zu medienreflexiven Werken dieser Zeit, ich musste etwa an Andy Warhols „Sleep“ (1964) denken oder Vito Acconcis „Center“ (1971) – Arbeiten, die sowohl das Medium Film selbst in den Blick nehmen als auch das Fernsehen als damals noch neue, vermittelnde Instanz und Massenmedium. Woher kam Ihr Impuls, sich dem Fernsehen zu widmen? Waren Sie inspiriert von den vielen, insbesondere US-amerikanischen Medienkünstler:innen? Oder passierte das vollkommen unabhängig?

VALIE EXPORT: Also ich muss sagen, dass es unabhängig, parallel passiert ist. Die Auseinandersetzungen in der Nachkriegskunst in Österreich waren natürlich anders als in den USA oder Japan zum Beispiel. Es gab auch große Bewegungen in China. Wir hatten einerseits einen Fokus auf die Aufarbeitung des Kriegs und andererseits den Dadaismus, Surrealismus und Strukturalismus. Der Strukturalismus ist später gekommen, durch die theoretische Beschäftigung hauptsächlich mit den Franzosen und den Deutschen. Ich war 1973 das erste Mal in New York und habe dort Filmvorführungen gehabt. Dabei habe ich einige der Künstler und Künstlerinnen kennengelernt bei Filmfestivals – allerdings waren viele der Medienkünstler:innen eher an der Westküste. Aber in New York haben wir uns getroffen und konnten unser Wissen austauschen. Wir hatten auch Austausch über Briefe und Telegramme; Telefonieren war damals noch ziemlich teuer. Ich habe mir in New York eine Faxmaschine gekauft und nach Wien geschleppt. Das war ein Monster, so groß war die dazumal. Es gab ein großes Bedürfnis nach Kommunikation in dieser Zeit. Jede:r war begierig auf Austausch und Gespräch.

D20: Das kann ich mir vorstellen. Überhaupt sind erst ab 1967 die ersten Handkameras im Umlauf gewesen. Davor wurde schon viel fotografiert, aber auf einmal gab es die Möglichkeit auf ganz neue Weise mit dem Medium Film zu operieren. War das ein erlösendes Moment, oder gab es von Anfang an eine kritische Distanz zu diesem Medium, weil es so eng verwandt war mit dem Massenmedium Fernsehen?

VALIE EXPORT: Es war einerseits eine Erlösung, würde ich sagen. Ich konnte endlich selbst das Geschehene sofort aufnehmen, kontrollieren und wiedergeben. Die Eigenarten des Mediums haben mich von Beginn an fasziniert: Ich mache eine Geste vor der Kamera und diese Geste sehe ich ganz leicht zeitverzögert in einem anderen Raum. Das Video hat so viel erlaubt. Ich wollte Statisches in Bewegung versetzen und Bewegtes in Freeze-Frames festhalten. Video war damals ein Medium, das noch nicht sehr besetzt war und allgemein zugänglich. Ich habe mir dann auch sofort die Videokamera gekauft. Ich habe angefangen mit meinen Filmarbeiten mit Normal-8, das war winzig, dann mit Super-8, das ist ein bisschen größer, dann mit 16mm, dann mit 35mm. Es waren viele Entwicklungsschritte. Es war sehr faszinierend, sich „weg vom Tafelbild“ zu entwickeln, obwohl ein Tafelbild ebenfalls sehr viel Bewegung enthält. Meine Fotografien habe ich auch so konzipiert, dass sie durch die Bewegungen der Betrachter:innen nicht mehr statisch sind.

D20: Diese Lust am Experiment zeigt sich sehr stark in „Facing a Family“. Als ich das Video das erste Mal gesehen habe, war ich irritiert von diesen Auslassungen im Ton, den Verzerrungen und den kurzen Standbildern. Ich musste mich rückversichern, ob das ein Fehler in der Datei ist – und natürlich war es kein Fehler. Aber diese Irritationsmomente sind so klug und subtil angelegt, dass selbst ich kurz verunsichert war. Worauf zielen die einzelnen Effekte ab?

VALIE EXPORT: Ja, richtig, das ist natürlich alles vorher konzipiert gewesen. Mir war es sehr wichtig, die Eigenschaften des Mediums aufzuzeigen. Einerseits geht um das klare, deutliche Bild, aber es geht auch darum, dass man die Eigenschaften des Bildes zeigt, quasi die Eigenschaften der Leinwand, auf der das Bild abgebildet wird. Einige Jahre später habe ich eine Performance gemacht, bei der habe ich in ein Videoband hineingeschnitten, es anschließend wieder zusammengeklebt und durch meine eigene Apparatur laufen lassen. In dem Moment, in dem ich in das Videoband hineingeschnitten habe, war das Publikum wie erstarrt. Dass man es sich traut, in ein Videoband hineinzuschneiden! Obwohl das in jedem Film gemacht wird. Ich kann hineinschneiden, das ist eine Aktion für sich, aber wie das Resultat ausschaut, ist eben etwas ganz anderes, weil es ein ganz anderes Medium ist. Ähnlich wie Lucio Fontana, der in die Leinwand hineingeschnitten hat.

D20: Für ein Publikum, das nicht sehr medienkundig ist und immer nur dem Endprodukt – dem Film – begegnet, ist das ein sehr gewaltvoller Akt. Mittels des technisch-apparativen Weg des Films wurde die Wirklichkeit dokumentiert und dann wird sie durch Sie manipuliert. So wie Fontana die Leinwand, den Bildgrund, die Wahrheit sichtbar gemacht und zugleich zerstört hat. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie sehr das die Leute schockiert hat.

VALIE EXPORT: Richtig, das war ein Schock.

D20: Wie war damals eigentlich Ihr Verhältnis zum Konzept „Familie“ in Österreich in den Späten 1960er- und 1970er-Jahren? Die Kritik in „Facing a Family“ zielt einerseits auf das Medium Fernsehen ab, andererseits sieht man natürlich einer konventionellen Kleinfamilie an einem gewöhnlichen Stubentisch zu, wie sie zu Abend isst.

VALIE EXPORT: Mir war das Wichtigste zu zeigen, dass wir noch immer in einer ganz bürgerlichen Konvention verhaftet waren. Wir haben einerseits die Aufarbeitung des Nationalsozialismus erlebt und andererseits ist daraus ein starkes Bürgertum entstanden. Fernsehen wurde für das Bürgertum gemacht. Leute, die etwas mobiler waren oder mehr Interesse hatten, konnten ins Kino gehen oder konnten sich neue Filme anschauen, den Schweizer Film oder den Italo-Western. Aber der Bürger ist eigentlich zu Hause geblieben und hat den Fernsehapparat für sich entdeckt in der Bürgerwelt, seiner eigenen Bürgerwelt. Zum Beispiel beim Essen. Man hat gemeinsam geschaut und dann gab es Streitereien: Wer darf schauen, oder wer darf nicht schauen? Immer das Gleiche. Deswegen habe ich „Facing a Family“ beim Abendessen aufgenommen.

D20: Im Abgleich mit meinen eigenen Erfahrungen habe ich mich erinnert, dass das Abendessen vor dem Fernseher für mich immer das Highlight eines Wochenendes war als Kind, das war in den 1990er-Jahren. Die Arbeit scheint also nichts an Aktualität eingebüßt zu haben. Was ist damals nach der Ausstrahlung passiert? Gab es Reaktionen auf diese Arbeit?

VALIE EXPORT: Ich habe viele Reaktionen auf diese Arbeit bekommen – sie hat den Kern des Fernsehens genau getroffen. Wir schauen hinein in das Bild und wir schauen wieder heraus aus dem Bild. Um welche Wirklichkeit geht es hier eigentlich? Sie wurde in den folgenden Jahren noch oft gezeigt.

D20: Wie ging es von dort aus weiter mit Ihnen und dem Fernsehen? Haben Sie weitere Arbeiten im Kontext mit dem Fernsehen angefertigt, oder war das eine einmalige Intervention? In den frühen Jahren der Videokunst gab es noch eine Vielzahl an medienkritischen Arbeiten im Fernsehen. Ich denke direkt an Chris Burden, der in der Werbezeit gesendet hat. Aber von diesen Interventionen und der Utopie der Selbstorganisierung der Sendezeit ist nichts übriggeblieben. Eigentlich agieren alle bildenden Künstler:innen mit ihren Video- und Medienkunstarbeiten wieder ausschließlich in Museen und Kinos. Eine traurige Entwicklung?

VALIE EXPORT: Es war eine von wenigen. Ich habe später im Auftrag des Fernsehens Sendungen gemacht: „Das bewaffnete Auge“ und „Aktionskunst International“, bei denen ich versucht habe, die Fernsehleinwand mitzudenken. Ich habe immer versucht, kleinere Sachen im Fernsehen zu zeigen, aber die Situation wurde immer enger und enger und ich habe mich dann mehr auf den Spielfilm konzentriert, weil ich dadurch mehr Möglichkeiten hatte, öfter gezeigt zu werden. Aber natürlich wäre es schön, wenn wir immer noch irritierende Sachen im Fernsehen zeigen würden. Es wäre sicherlich die Aufgabe des Fernsehens gewesen – oder ist es noch immer, experimentelle und avantgardistische Inhalte zu zeigen, aber da führt kein Weg mehr hin. Ich glaube aber immer noch daran, dass es eigentlich ein Publikum für solche Sachen gäbe.

VALIE EXPORT’s künstlerische Arbeit umfasst unter anderem Video Environments, digitale Fotografie, Installationen, Body Performances, Spielfilme, Experimentalfilme, Dokumentarfilme, Expanded Cinema, konzeptuelle Fotografie, Körper-Material-Interaktionen. Persona Performances, Laser Installationen, Objekte, Skulpturen, Texte zur zeitgenössischen Kunstgeschichte und Feminismus. VALIE EXPORT gilt als eine der wichtigsten internationalen Pionierinnen konzeptueller Medien-, Performance- und Filmkunst

 

Interview: Anne Zühlke

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