Österreichischer Pavillion auf der Biennale
Georg Petermichl
59. Venedig-Biennale

Retrocharme und Weltpolitik in den Giardini

Die Venedig-Biennale ist nicht nur eine der größten Kunstausstellungen der Welt, sie ist auch ein riesiges Spektakel. Bei der pandemiebedingt verschobenen 59. Ausgabe gibt man sich angesichts des Ukraine-Krieges aber nachdenklich. Im österreichischen Pavillon gestalten Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl eine retrofuturistische Installation, die zur Erkundung von Identitätskonzepten einlädt.

Man könnte sie für eine Sphinx mit Rothaarperücke halten, deren wuchtige Brüste über einem Designklassiker der 1970er Jahre schweben. Mit seinem berühmten Freischwinger hat der dänische Produktdesigner Verner Panton eine Ikone geschaffen, Knebl lässt Pantons Stuhl mit einem hybriden Fabelwesen verschmelzen.

Dieses knallig grüne Geschöpf, so scheint es, ist aus einer anderen Galaxie in Josef Hoffmans Pavillon in den Giardini gelandet. Wer den nüchternen Kunsttempel, der den Geist der Moderne atmet, betritt, taucht ohnedies in eine Welt ein, die Grenzen auslotet: die Grenze zwischen Kunst und Design, die Grenze zwischen klassischen Geschlechterrollen und nicht zuletzt die Grenze des guten Geschmacks.

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Der österreichische Pavillion auf der Biennale
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Verner Panton Freischwinger verschmilzt in Knebls und Scheirls „Soft Machine“ im Österreich-Pavillon mit einem grünen Fabelwesen
Der österreichische Pavillion auf der Biennale
Georg Petermichl
Retrofuturismus und die Lust an der Verwandlung machen den österreichischen Beitrag zur 59. Venedig-Biennale aus
Der ukrainische Pavillion auf der Biennale
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Ein Turm aus Sandsäcken und während des Krieges entstandene Poster geraten an der „Piazza Ucraina“ zum Mahnmal der weltpolitischen Lage
Der ukrainische Pavillion auf der Biennale
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Pavlo Makovs „Fountain of Exhaustion“ im Ukraine-Pavillon
Der russische Pavillion auf der Biennale
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Der russische Pavillon in den Giardini bleibt dieses Jahr unbespielt, das künstlerische Team zog seine Teilnahme zurück
Der belgische Pavillion auf der Biennale
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Für viele ein Highlight der Ausgabe: Francis Alys belgischer Pavillon erkundet Kinderspiel aus aller Welt
Der US-Pavillion auf der Biennale
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Mit Simone Leigh stellt erstmals eine afroamerikanische Künstlerin im Pavillon der USA aus. In Anspielung auf Kolonialausstellungen ist das Dach mit Stroh gedeckt, Leights Skulpturen thematisieren die Sklaverei.
Biennale in Venedig
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Ein spektakuläres Bild vom Aufbau zeigt ein Landart-Gemälde von Guillaume Legros auf seinem Weg über den Canal Grande

„Transgender, Transgenre, Transmedium!“

„Transgender, Transgenre, Transmedium!“ lautet die Formel, die das Duo Knebl und Scheirl zum Programm ihres Biennale-Auftritts macht. Ist Identität, ein Schlüsselbegriff der auch in der diesjährigen Hauptausstellung der Biennale eine Rolle spielt, am Ende ein abendländischer Mythos?

Jakob Lena Knebl, Ashley Hans Scheirl und Karola Kraus
Christian Benesch
Vertreten Österreich auf der 59. Venedig Biennale: Ashley Hans Scheirl (l.), Jakob Lena Knebl (M.) und mumok-Direktorin Karola Kraus (r.)

Die beiden Pionierinnen der queeren Bewegung jedenfalls brechen eine Lanze dafür, Genderkonstruktionen zu hinterfragen und zwar künstlerisch wie privat. Mode, Design und Accessoires werden in ihrer Installation zu Versatzstücken eines Transformationsprozesses, den Knebl und Scheirl vor der Kulisse einer Science-Fiction-Landschaft mit 70er-Jahre-Retrocharme lustvoll inszenieren.

Kuratiert wurde der Österreich-Pavillon von mumok-Direktorin Karola Kraus. Sie betont, dass Knebl und Scheirl das Generalthema der diesjährigen Biennale aufgreifen und fortspinnen: „Kuratorin Cecilia Alemani bezieht sich mit dem Titel der diesjährigen Biennale, ‚Milk of Dreams‘, auf die surrealistische Schriftstellerin Leonore Carrington. Carrington schreibt über die Fähigkeit des Menschen, sich zu verwandeln. Diese Verwandlungsfähigkeit, die den Menschen von Geburt an begleitet, ist auch ein wesentliches Thema des österreichischen Beitrags.“

Retrofuturismus oder Nostalgiefalle?

Auf die Avantgarde von gestern beziehen sich auch Knebl und Scheirl. „The Soft Machine and Her Angry Body Parts“ nennt das Duo die begehbare Kulisse, die mit Liebe zum Detail gestaltet ist und zusammenbringt, was – landläufig betrachtet – nicht zusammengehört.

„Soft Machine“ heißt auch ein Meisterwerk der Literatur, das oft zitiert und selten gelesen wird. Verfasst hat es Beat-Poet William S. Burroughs und zwar mit Hilfe der Cut-up-Technik. In Burroughs Roman werden Textfragmente, die aus unterschiedlichen Quellen stammen, neu zusammengefügt und abgemischt, die Linearität des Erzählten wird durchbrochen.

Als „Soft Machine“ bezeichnete Burroughs den menschlichen Körper, der unterschiedlichen Formen von Manipulation und Steuerung ausgesetzt ist. Wer den Roman im Cyborg-Zeitalter liest, kommt nicht umhin, an die Erweiterung des Körpers durch technische Wahrnehmungsprothesen zu denken.

Den Körper durch Prothesen erweitern

„Der Körper ist ein System, das sich erweitern und transformieren kann“, sagt Knebl im Gespräch mit ORF.at. „Wir sehen in queeren Lebens- und Körperentwürfen eine Chance für alle. Eigentlich geht es darum, den Aktionsradius zu erweitern.“ Als Einschreibfläche der Macht wird der Körper klassen- und geschlechtsspezifisch geformt. „Anything goes!“, lautet die Antwort von Scheirl und Knebl. Warum das Duo diesen utopischen Entwurf in ein 1970er-Jahre-Ambiente einbettet und damit einen Fluchtpunkt in der Vergangenheit gewählt hat, leuchtet nicht ein.

Auch wenn im Windschatten des Wendejahres 1968 die großen sozialpolitische Reformen Verkrustungen der Nachkriegsgesellschaft aufbrechen ließen und feministische Positionen erstmals ein beachtliches mediales Echo erreichten, möchten man doch fragen, ob Scheirl und Knebl nicht in die Nostalgiefalle tappen.

Dass die sexuelle Emanzipation, die den Zeitgeist der Dekade bestimmt, in erster Linie auf das Begehren der Männer abzielte, wird nicht nur von Zeitzeuginnen vielfach überliefert, sondern ist auch in der sexualisierten Inszenierung weiblicher Körper in Filmen und Magazinen deutlich sichtbar.

Ob die Vorstellung fluider Identitäten, so verlockend sie auch sein mag, am Ende nicht nur im Herzen einer hegemonialen westlichen Kultur formuliert werden kann, die das Identitätsshopping zum goldenen Kalb einer Gesellschaft gemacht hat, in der religiöse und traditionelle Werte ausfransen, wäre zumindest eine Überlegung wert.

TV-Hinweis

ORF2 zeigt am Montag um 22.30 Uhr in „kulturMontag“ eine Reportage zur Biennale – mehr dazu in tv.ORF.at.

Vor allem im Kontext der diesjährigen Biennale, die einem kuratorischen Gebot der Stunde folgt und verstärkt postkolonialen und außereuropäischen Positionen eine Bühne bietet, ist die Frage berechtigt. Kann sich eine Person, die aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert wird, auf dieselbe Art neu erfinden und von Zuschreibungen freispielen?

Afrikanische Diaspora in den Giardini

Der Pavillon der Vereinigten Staaten wird in diesem Jahr zum ersten Mal in der Geschichte der Biennale von einer Schwarzen Frau bespielt. Die Bildhauerin Simone Leigh schafft ein starkes visuelles Statement, das in das Ausstellungsgelände der Giardini ausstrahlt. Das Dach des Gebäudes, dessen Architektur an den klassizistischen Kolonialstil erinnert, ist mit Stroh gedeckt – eine Referenz auf die umstrittene Pariser Kolonialausstellung.

Der US-Pavillion auf der Biennale
picturedesk.com/Action Press/Sabatelli, Lucia
Das Strohdach des US-Pavillons ist als Anspielung auf die Pariser Kolonialausstellung

Das exotische Spektakel war nicht zuletzt eine Machtdemonstration, die 1931 sichtbar machen sollte, wie weit der politische Einfluss des französischen Kolonialreichs reichte. Bewohner und Bewohnerinnen aus den Kolonien wurde nach Paris geholt, wo sie vor den gaffenden Augen des Publikums folkloristische Darbietungen aufführen musste. Hütten und Tempel sorgten in diesem Themenparkt kolonialer Unterdrückung für Lokalkolorit.

Dass sich das Konzept der Biennale, das 1895 aus dem Geiste der Weltausstellungen geboren wurde und einzelne Länderpavillons präsentiert, im Zeitalter einer global vernetzten Kunstwelt eigentlich längst überholt hat, ist in Venedig alle Jahre wieder ein Thema.

Leigh greift diese Debatte auf und macht gleichzeitig auf die Auswirkungen der afrikanischen Diaspora aufmerksam. Ihre monumentale Skulptur einer starken Schwarzen Frau setzt auch als erste Arbeit der Hauptstellung im Arsenal ein deutliches Zeichen. Denn sowohl in den Länderpavillons als auch in der von Alemani kuratierten Ausstellung geben bei dieser 59. Ausgabe der Biennale die Frauen den Ton an.

Gebaute Erinnerung

Der deutsche Pavillon bleibt in diesem Jahr leer und ist somit wohl Musterschüler in Sachen Klimaschutz, schließlich ersparte man sich sowohl Transport- als auch Produktionskosten für neue Kunstwerke. Die Konzeptkünstlerin Maria Eichhorn beschäftigt sich in ihrem Projekt „Relocating a Structure“ mit der wechselvollen Baugeschichte des Pavillons, der unter dem NS-Regime erweitert wurde. Eichhorn ließ Strukturen abbauen und legt die Nahtstelle zwischen den Gebäudeteilen frei. Wenn die Künstlerin die Schichten gebauter Erinnerung abträgt, kann man erahnen, wie das ursprüngliche Gebäude ausgesehen hat.

Der belgische Pavillion auf der Biennale
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Für viele ein Highlight: Francis Alys belgischer Pavillon erkundet Kinderspiel aus aller Welt

Als Favorit für den Goldenen Löwen wurde während der Preview-Tage der belgische Pavillon gehandelt. Francos Alys zeigt Filme, die seit 2017 unter anderem in Hongkong, in der Demokratischen Republik Kongo und in Belgien entstanden sind. Mit poetischer Klarheit und Zurückhaltung beobachtet der Künstler Kinder beim Spielen, nimmt ihre stillen Rituale in den Blick und erzählt damit auch etwas über das soziale Koordinatensystem, in dem sie gefangen sind.

Weltpolitik im Kunstgedränge

Bereits im Vorfeld gaben der Kurator des russischen Pavillons sowie die Künstlerin Alexandra Sucharewa und der Künstler Kirill Sawtschenkow bekannt, dass sie an der diesjährigen Biennale nicht teilnehmen werden. Diesen Boykott kommentierte das Künstlerduo in den sozialen Netzwerken mit deutlichen Worten. „Es gibt keinen Platz für Kunst, wenn Zivilisten im Feuer von Raketen sterben.“

Kurator Raimundas Malasauskas schloss sich dem stillen Protest an. Die opulente Fassade des verwaisten russischen Pavillons war während der Preview-Tage ein beliebtes Motiv internationaler Pressefotografen. Am Freitagnachmittag realisierte der ukrainische Schauspieler Alexej Judnikow dort einige Minuten lang eine Performance, bevor Polizisten ihn vom russischen Pavillon wegbegleiteten. Judnikow trat dafür zunächst mit langem dunklem Mantel auf und trug eine Maske, die an den russischen Präsidenten Wladimir Putin denken ließ.

„Piazza Ucraina“ als Mahnmal

Unweit des russischen Länderpavillons wurde eher kurzfristig ein Mahnmal für alle ukrainischen Künstlerinnen und Künstler errichtet, die nicht nach Venedig kommen konnten. Sandsäcke, die an der Front als Gebäudeschutz dienen, wurden auf der „Piazza Ucraina“ zu einer Pyramide aufgetürmt, die von künstlerischen Arbeiten, die teilweise direkt aus dem Kriegsgebiet nach Venedig geschickt wurden, flankiert wird.

Im Arsenal bespielt der aus Charkiw stammende Künstler Pawlo Makow den ukrainischen Pavillon mit einer schlichten Installation aus Trichtern. Ob die Arbeit aus der Ukraine nach Venedig transportiert werden kann, war lange unklar. Die Teilnahme bei der Biennale darf als Erfolg gewertet werden, dennoch gibt sich Makow im Interview ernüchtert. Er könne mit seiner Arbeit nichts für den Frieden erreichen, so der Künstler.

Der ukrainische Pavillion auf der Biennale
picturedesk.com/AFP/Vincenzo Pinto
Die „Piazza Ucraina“ mit Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die aufgrund des Krieges nicht anreisen können

Vor der Pandemie ankerten die protzigen Jachten betuchter Sammler unweit der Giardini. 2013 reflektierte Jeremy Deller im britischen Pavillon diese Entwicklung mit einer etwas plakativen Arbeit: Auf einem Bild ließ er Roman Abramowitschs riesige Jacht „Luna“ zerschellen. Sie thronte bei der Biennale 2011 protzig vor dem Ausstellungsgelände.

2022 hat die Dichte der schwimmenden Villen deutlich abgenommen. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges müssen russische Oligarchen um ihre Luxusjachten bangen. Auf den ersten Blick ist das wohl das deutlichste Zeichen dafür, dass der Krieg in der Ukraine Schatten wirft, die bis nach Venedig reichen.