Sammlung Bührle: Wo ist der Mut geblieben? Einen Waffenhändler soll man auch so nennen

Die Dokumentation zu Emil Bührle im neuen Zürcher Kunsthaus ist zu defensiv. Sie meidet es, die Dinge beim Namen zu nennen. Will man es damit vor allem den Leihgebern der kontrovers diskutierten Kunstsammlung recht machen?

Philipp Meier
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Paul Cézanne: «Paysage», um 1879, Öl auf Leinwand, 54×73 cm. Gilt als ein Beispiel von NS-Verfolgungs-bedingtem Verkauf.

Paul Cézanne: «Paysage», um 1879, Öl auf Leinwand, 54×73 cm. Gilt als ein Beispiel von NS-Verfolgungs-bedingtem Verkauf.

Sammlung Emil Bührle / Kunsthaus Zürich

«C’est le ton qui fait la musique», sagen die Franzosen. Die Redewendung trifft jetzt im Kunsthaus auf die Dokumentation zur Entstehungsgeschichte von Emil Bührles Sammlung französischer Kunst besonders gut zu. Im Dokumentationsraum, der den Sälen mit den Leihgaben der Stiftung Sammlung E. G. Bührle etwas gar diskret angegliedert ist, ist es still: Hier soll in Schrift und Bild über die historischen Hintergründe der kontrovers diskutierten Zürcher Privatsammlung aufgeklärt werden.

Aber auch Lautlosigkeit kann ein Geräusch erzeugen. Und so könnte das Hintergrundrauschen der anhaltenden Debatte um das Bührle-Kunstvermächtnis längerfristig zum unangenehmen Tinnitus ausarten.

Etwas lautere Töne nämlich wären durchaus angebracht gewesen, wenn man sich schon die grosse – und auch zwingende – Mühe macht, die schwierige Geschichte für das Publikum aufzubereiten. Manchmal braucht es eben die richtigen Worte, um den richtigen Ton zu treffen – auch wenn «Rüstungsindustrieller» und «Waffenfabrikant» im Grunde ja dasselbe sein mögen. Leider sind es aber gerade solche Unterschiede, die in der vom Kunsthaus selber erstellten Dokumentation auffallen. Es soll kein böses Wort mehr fallen. Solches wird tunlichst vermieden.

In manchen Medien wurden die Debatten in überaus schrillen Tönen geführt: Von «Waffendealer», «Waffenschieber», «Kanonenkönig», «Kriegsgewinnler», «Profiteur des deutschen NS-Regimes» war die Rede. Nun wurde das in der sterilen und nüchternen Darstellung vollkommen neutralisiert.

Sachlich und staubtrocken

Die Dokumentation zählt artig alles auf und lässt nichts aus, was zu den erwiesenen und mehrmals geprüften Fakten gehört. So erscheint die Kunsthaus-Dokumentation als die staubtrockene Fleissarbeit eines Musterschülers, der nichts falsch machen will.

Nicht, dass es eine Art Trigger-Warnung gebraucht hätte für die wunderbaren Werke, die jetzt endlich von den in Strömen ins neue Kunsthaus Pilgernden betrachtet werden wollen, nachdem man über sie vor allem viel zu lesen bekommen hatte. Doch hätte man der mündigen Bevölkerung schon etwas mehr zumuten dürfen. Immerhin hatte diese an der Urne der Leihgabe der Bührle-Sammlung ans Kunsthaus aus freien Stücken zugestimmt.

Man stützt sich auf die jüngsten Forschungsergebnisse. Überdies verknüpft ein Audioguide die Dokumentation mit der Ausstellung und behandelt Fragen zur Provenienz bestimmter Werke. Der Werdegang Emil Bührles wird sauber nachgezeichnet, seine Waffengeschäfte im Zweiten Weltkrieg mit Nazideutschland und während des Koreakriegs mit den USA kommen ebenso zur Sprache wie die Zwangsarbeit in der Tochterfirma Ikaria im deutschen Brandenburg. Sodann werden summarisch die gut bekannten dreizehn Fälle von Käufen erwähnt, bei denen es sich um Raubkunst handelte und die Bührle infolge juristischer Ermittlungen restituieren musste.

Man vermeidet es aber, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen und Klartext zu reden, als gälte es, die gut belegten Tatsachen als blosse Empfindsamkeiten eines neuen Zeitgeists möglichst auszublenden. Konkret: dass Bührles Charakter einen deutlichen Hang zu skrupellosem Handeln aufwies oder dass Bührle im Eigeninteresse moralische und selbst rechtliche Bedenken, wie sie andere Exponenten seiner Zeit durchaus hegten (etwa der Winterthurer Sammler Oskar Reinhart), grosszügig beiseiteschob. Das hätte durchaus zum besseren Verständnis der Geschehnisse im Rahmen eines der düstersten Kapitel der Geschichte des letzten Jahrhunderts beitragen können.

Unnötige Leisetreterei

Nur am Rand wird auch der komplexe Fluchtgut-Sachverhalt gestreift. In einem Fall geschieht dies immerhin ausführlicher. Es handelt sich um Gustave Courbets Porträt des Bildhauers Louis-Joseph Lebœuf, das 1935 von dem jüdischen Berliner Verleger Franz Ullstein nach Zürich ins Kunsthaus an eine Ausstellung geschickt wurde. Dort blieb es bis 1941. Nachdem sich das Kunsthaus entschieden hatte, es nicht zu kaufen, wurde es von Bührle zum Versicherungswert übernommen.

Die Dokumentation der Sammlung Emil Bührle im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich.

Die Dokumentation der Sammlung Emil Bührle im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich.

Christian Beutler / Keystone

Um weit bedeutendere Beispiele handelt es sich aber bei Claude Monets berühmtem «Mohnfeld bei Vétheuil» oder bei Paul Cézannes «Paysage» von 1879. Diese Werke waren zwar von ihren Besitzern regulär verkauft worden, aber möglicherweise aus einer NS-Verfolgungs-bedingten finanziellen Notlage heraus. So machten etwa die Nachfahren der Familie Emden im Streit um Monets Mohnfeld-Landschaft nicht rechtliche, sondern moralische Gründe geltend.

Gerade solche Beispiele böten eine ideale Gelegenheit, solch problematische Sachverhalte objektiv, aber eingehend und unter Einbezug sämtlicher Aspekte zu erläutern. Das würde von der Öffentlichkeit als wertvoller Beitrag zur Debatte wahrgenommen, wie mit «Fluchtgut» oder eben auch «verfolgungsbedingtem Verlust» umgegangen werden soll. Denn diese Diskussionen werden nicht abbrechen und auch vor den Türen des Kunsthauses nicht haltmachen. So jedenfalls vermittelt die allzu zahm wirkende Dokumentation den Anschein von Leisetreterei.

Man fragt sich, wo der Mut geblieben ist, mit dem man sich für die Sammlung Bührle als Teil der Zürcher Geschichte eingesetzt hatte. Will man es vor allem einer Partei möglichst recht machen, nämlich den Leihgebern? Diese könnten die Sammlung den Verträgen gemäss bereits Ende 2034 wieder abziehen, wenn ihnen der Umgang damit nicht behagt.

Die Öffentlichkeit allerdings, die mit ihrem Ja zur Sammlung Bührle einen Anspruch auf eine umfassende Darstellung hat, wird das Kunsthaus an ebendieser Aufgabe messen. Wird dies vergessen oder nicht ernst genommen, könnte es auch geschehen, dass die Öffentlichkeit selber bald keine Bührle-Bilder mehr im Kunsthaus sehen will.

Auch in diesem Fall könnte die Sammlung Bührle schon in dreizehn Jahren den Chipperfield-Bau wieder verlassen. – Wer keinen rechten Ton herausbringt, dem könnten bald andere Töne entgegenschlagen. Die Dokumentation müsste an den Absender zurückgehen und überarbeitet werden. In Stein gemeisselt ist hier ja nichts, wie das Kunsthaus selber beteuert.

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