Museen und NS-Zeit:Verhängnisvolle Verbindungen

Erweiterungsbau Kunsthaus Zürich Chipperfield

Die Eröffnung des Erweiterungsbaus des Architekten David Chipperfield war ein weltweit beachtetes Ereignis. Doch tobt um die ausgestellte Sammlung des Waffenfabrikanten Bührle seit Jahren ein Streit.

(Foto: Juliet Haller)

Der Waffenhändler Emil Georg Bührle sammelte Kunst aus einst jüdischem Besitz. Das Kunsthaus Zürich will dennoch Werke der Sammlung zeigen.

Von Kito Nedo

Wenn im Herbst der 206 Millionen Franken teure Chipperfield-Erweiterungsbau eröffnet, dann, so hofft man am Kunsthaus Zürich, wird das das Museum endlich in die erste Liga katapultieren. Als Besuchermagneten in den neuen Ausstellungssälen werden die Paradewerke der "Sammlung Bührle" dienen: Monet, van Gogh, Renoir, Picasso, Cézanne, Modigliani und einiges mehr. Doch die rund 200 Kunstwerke der Bührle-Dauerleihgabe scheinen überschattet von der Vergangenheit zu sein. Vom "kontaminierten Museum" ist die Rede. Mit der Sammlung kommt eine dunkle Geschichte von Verfolgung, Zwangsarbeit, Zwangsverkäufen, Enteignung und Kriegsprofitmacherei auf die Museumsbühne.

Das Unbehagen entzündet sich an der Biografie des Sammlers und der Sammlungsgeschichte. Denn Emil Georg Bührle (1890-1956) war kein harmloser, kunstbesessener Kulturbürger, der bereits in der Nachkriegszeit knapp zehn Millionen Franken in das Kunsthaus Zürich investierte. Die Universität Zürich (UZH) veröffentlichte kürzlich eine historische Studie mit dem Titel "Kriegsgeschäfte, Kapital und Kunsthaus. Die Sammlung Emil Bührle im historischen Kontext". Diese macht deutlich, dass Bührle ein skrupelloser Rüstungsindustrieller war, der von der NS-Herrschaft gleich mehrfach profitierte: als Waffenfabrikant, Zwangsarbeitsgewinnler und Kunstsammler.

Bührle verdiente an jeder Kanone

Die deutsche Aufrüstung und der Krieg machten den gebürtigen Deutschen, der 1924 in die Schweiz zog und sich 1937 einbürgern ließ, extrem reich. Die Schweizer Neutralität war der Schlüssel zu seinem Geschäftserfolg. "Deutschlands größte nicht-bombardierbare Waffenfabrik" nannten die Briten Bührles Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO) zu Kriegszeiten. Der Bestseller war die bei allen Kriegsparteien beliebte 20-mm-Oerlikon-Flugabwehrkanone. Über eine Beteiligung an einer deutschen Rüstungsfirma profitierte Bührle direkt auch von NS-Zwangsarbeit in Deutschland. Im Rüstungswerk Ikaria in Velten, nördlich von Berlin, mussten Häftlinge des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück unter SS-Aufsicht Sklavenarbeit leisten. Bührle war Lizenzgeber und verdiente an jeder Kanone.

Als Sammler war Bührle auch Nutznießer der NS-Vernichtungspolitik und der Verwüstungen, die der NS-Kunstraub in ganz Europa anrichtete und etliche Kunstwerke, hauptsächlich aus jüdischem Besitz, auf den Markt spülte. 1936 stieg Bührle als Sammler in den Kunstmarkt ein, und in den folgenden 20 Jahren investierte er insgesamt knapp 40 Millionen Franken in den Erwerb von rund 600 Kunstwerken.

Die Studie spart die Provenienzforschung aus

Die Studie der UZH, von der Stadt und dem Kanton Zürich im Sommer 2017 in Auftrag gegeben, sollte den Zusammenhang zwischen Rüstungsproduktion und dem Wachsen der Kunstsammlung beleuchten. Die Provenienzforschung blieb hingegen ausgespart. Im Sommer 2020 wurde der UZH-Bericht selbst zum Skandal. Die Zürcher Wochenzeitung WOZ enthüllte, dass sowohl die Zürcher Kulturdirektion als auch die private Stiftung Sammlung Bührle versuchten, über einen sogenannten Steuerungsausschuss inhaltlich Einfluss auf die unter der Leitung des Zürcher Historikers Matthieu Leimgruber erarbeitete Studie zu nehmen. So beschwerte sich etwa Stiftungsdirektor Lukas Gloor im März 2020 in einer E-Mail über die Verwendung des Wortes "Freikorps". Das Wort, so Gloor, gehöre in die Kategorie "falscher Begriffe", und man müsse "vermeiden, sie überhaupt zu gebrauchen". Dabei ist es unstrittig, dass Bührle als junger Mann in einem der berüchtigten rechtsextremen deutschen Freikorpsverbände gekämpft und sein Leben lang Kontakte in rechtsextreme Kreise gepflegt hatte.

Bührle, den man sich als Freikorpssoldaten wohl wie eine der in Klaus Theweleits Buch "Männerphantasien" beschriebenen Figuren vorstellen muss, rühmte sich noch 1954 bei einem Vortrag öffentlich, aktiv an der "Niederwerfung der Kommunistenaufstände" 1918/19 in Berlin beteiligt gewesen zu sein. Durch Quellen ist auch belegt, dass er in den Fünfzigerjahren mit Waldemar Pabst, dem rechtsterroristischen Drahtzieher der Liebknecht- und Luxemburg-Morde, Korrespondenz pflegte.

Die heikle Erwerbungsgeschichte der Bührle-Bilder bleibt in der UZH-Studie unbeleuchtet, da sie ausdrücklich nicht Teil des Forschungsmandats war. Doch es sei durchaus plausibel, dass einige von Bührles Erwerbungen in die Kategorie "Fluchtgut" fallen könnten, resümieren die Autoren der Studie. Unter "Fluchtgut" versteht man Kunstwerke, die von NS-verfolgten jüdischen Sammlern verkauft werden mussten, um das Überleben, die weitere Flucht und das Exil zu finanzieren.

Provenienzforschung ist eine teure, zeitintensive und mühsame Puzzlearbeit. Anlässe für provenienzhistorische Tiefenbohrungen gäbe es nach wie vor genug. Zu den bekannt gewordenen Streitfällen gehört etwa das um 1879 entstandene Monet-Gemälde "Mohnblumenfeld bei Vétheuil", welches einst dem Hamburger Kaufhausmagnaten Max Emden gehörte, der von den Nationalsozialisten systematisch ausgeraubt wurde. Seit 2012 fordert Juan Carlos Emden, der Enkel Max Emdens, die Restitution des Gemäldes, da es sich um einen "Zwangsverkauf und NS-Verfolgungs-bedingten Vermögensverlust" handele. Die Bührle-Stiftung, seit 2002 von Kunsthistoriker Gloor geleitet, weigerte sich erfolgreich zu verhandeln. Der Verkauf des Monets sei seinerzeit "nicht unter Druck" erfolgt, verteidigt Gloor seine Position bis heute. Ebenso erfolglos blieben die Restitutionsbemühungen der Erben Max Silberbergs um das Bild "La Sultane" von Edouard Manet (1871), das einst dem Breslauer Sammler gehörte, den die Nazis deportierten und in Auschwitz ermordeten.

Ob in der Bührle-Sammlung auch Raubkunst ist, lässt sich bislang nicht überprüfen

Lange Jahre war die Provenienzforschung im Fall Bührle schwierig. Auch weil die Stiftung etwa 2001 ihr eigenes Archiv einem Forschungsteam gegenüber als vernichtet erklärte. 2010 tauchten Dokumente jedoch auf wundersame Weise wieder auf. Zukünftig soll das Archiv im Kunsthaus Zürich aufbewahrt werden. "Forschende werden dort ohne Einschränkung Zugang zu dem Archiv erhalten", kündigt Stiftungsdirektor Gloor an. Erst dann lassen sich die Bührle-Dokumente auch von unabhängiger Seite überprüfen.

Gloor hat nun eine eigene Sammlungsgeschichte geschrieben. Sie soll in diesem Sommer im Münchner Hirmer-Verlag erscheinen. Doch wäre eine Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte durch unabhängige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht sehr viel dringlicher? Dass die nun vorliegende UZH-Studie inhaltlich nicht ausreicht, das legen zwei unabhängige Gutachten nahe. Sowohl die Historikerin Esther Tisa Francini als auch der Historiker Jakob Tanner fordern weitergehende Forschungen, die sich maßgeblich auf das bislang von unabhängiger Seite unerforschte Archiv der Sammlung Bührle stützen sollten. Die "Nichtbenutzung des Archivs der Sammlung Bührle", so Tanner, sei auffällig. Mit ihren eigenen Publikationen könne, so betont Tanner, die Stiftung jene noch ausstehende historischen Anschlussforschungen nicht ersetzen.

Sammler kauften beschlagnahmte Bilder von unschätzbarem Wert für wenig Geld

Kurz vor Kriegsbeginn, im Juni 1939, nahm Bührle in Luzern an einer Auktion teil, die der berüchtigte Schweizer Galerist Theodor Fischer für die Nazis organisiert hatte. Versteigert wurden Werke, die zuvor im Zuge von NS-Säuberungsaktionen als "entartete Kunst" aus deutschen Museen beschlagnahmt wurden. Fischer war einer der zentralen Figuren im Handel mit NS-Raubkunst. Bührle ersteigerte drei Gemälde für eine Summe von 12 000 Franken. "Viele Kunstsammler und -händler konnten der günstigen Gelegenheit nicht widerstehen, für wenig Geld - die Deutschen wollten um jeden Preis verkaufen - Bilder von unschätzbarem Wert zu erwerben", schreibt die französische Journalistin Anne Sinclair in ihrem 2012 erschienen Erinnerungsbuch über ihren Großvater, den Kunsthändler Paul Rosenberg. Der führte damals in Paris eine der wichtigsten Galerien der Zwischenkriegszeit und vertrat mit Picasso, Braque, Léger und Matisse maßgebliche Künstler. Rosenberg habe, so schreibt Sinclair, potenzielle Käufer dringend vor der Auktion gewarnt. Alle Devisen, die die Nazis auf diese Weise erwirtschafteten, würden "uns in Gestalt von Bomben auf den Kopf fallen".

Paul Gauguin - Oeuvre L offrande peint par Paul Gauguin aux Marquises en 1902. Zurich, collection fondation E.G. Buhrle.

Auch Paul Gauguins "Die Opfergabe" (1902) gehört zur Sammlung Bührle.

(Foto: Imago Images)

Als im Sommer 1940 in den besetzten französischen Gebieten die aggressive und systematische Ausplünderung insbesondere von jüdischen Sammlungen durch die Nazis begann, waren auch große Teile der Bestände von Paul Rosenberg betroffen. Zu den Profiteuren der deutschen Kunstraubzüge zählte Bührle: "Während der deutschen Besatzungszeit tätigte Bührle auch seine ersten 16 Ankäufe auf dem Pariser Kunstmarkt, wo jüdische Galeristen und Sammler ihrer Kunstwerke enteignet wurden", steht im UZH-Bericht. "Von den 93 Kunstwerken, die der Industrielle zwischen 1941-45 kaufte, galten 13 nach dem Krieg als Raubkunst."

Rosenberg emigrierte in letzter Minute nach New York. Als einer der wenigen war es ihm auch möglich, direkt nach dem Krieg in Europa nach seinem Eigentum zu suchen, unter anderem bei Bührle. Bereits im September 1945 traf der Kunsthändler in Zürich ein, mit einer Liste von Gemälden und Fotografien im Gepäck. Beim Anblick von Rosenberg sei Bührle überrascht gewesen, zitiert Sinclair ihren Großvater, denn Bührle "hatte beschlossen, dem Gerücht von meinem Tod zu glauben". Rosenberg war überzeugt davon, dass Bührle wissentlich die ihm gestohlenen Bilder gekauft hatte. Ein Jahr später, im Oktober 1946, sah sich Bührle mit einer Restitutionsklage Rosenbergs über fünf gestohlene Gemälde konfrontiert, die Bührle über den Luzerner Galeristen Theodor Fischer erworben hatte. Bührle musste an Rosenberg restituieren.

Bührle kauft neun restituierte Gemälde nach Kriegsende einfach noch einmal

Anders als etwa Hildebrand Gurlitt entschied sich Bührle nach dem Krieg gegen das Verstecken und für eine offensive Strategie: Von den insgesamt 13 geraubten Gemälden, die er infolge eines Gerichtsverfahrens 1948 an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben musste, kaufte er neun Gemälde erneut. Damit legalisierte er seinen fragwürdigen Besitz. Als Unternehmer hatte Bührle ein besonderes Interesse, sich mit Rosenberg zu einigen, da er seit dem Krieg auf den schwarzen Listen der Amerikaner geführt wurde, was ein Hindernis für potenzielle Lieferungen in die westlichen Rüstungsmärkte darstellte. 1946 erreichte die Schweiz auf diplomatischem Wege die Löschung von der schwarzen Liste. Wenig später bestellte das Pentagon tatsächlich Bührle-Raketensysteme für den Koreakrieg.

Objektivität ist für das Museum schwierig

Aktuell hat sich in Zürich eine "Interessengemeinschaft Transparenz zur Aufarbeitung und Vermittlung des Kunsthaus-Bührle-Komplexes" formiert, die unter anderem die Offenlegung des Leihvertrags zwischen der Zürcher Kunstgesellschaft und der Stiftung Bührle sowie weitergehende Forschungen fordert, zum Beispiel zum Zusammenhang von Zwangsarbeit und Sammlung. Die Transparenzinitiative zeigt, dass der scheidende Kunsthaus-Direktor Christoph Becker durch sein Agieren im Fall Bührle in der Zürcher Kulturszene einiges Vertrauen verspielt hat. Seine Haltung verteidigte Becker neulich in einem Zeitungsinterview so: Eine Sammlung könne man "nicht zum Vehikel machen, um geschichtliche Tatsachen abzubilden". Es klingt, als sei der Diskurs um NS-Raubkunst und Fluchtgut nachrangig. "Wir werden uns um Objektivität bemühen, wir werden also nicht Partei ergreifen", betonte Becker. Aber ist Objektivität möglich, wenn das Museum selbst zur zentralen Bühne für eine historisch schwer belastete Sammlung wird? Auch der Wunsch, Kunst und Politik zu trennen, ist politisch.

Dabei wurde die schöne Kunst, die bald im neuen Anbau strahlen wird, auch früher schon instrumentalisiert. Sie diente Bührle als Ticket für den Aufstieg in die Zürcher Kultur- und Finanzelite und lieferte das ersehnt Saubermann-Image. 65 Jahre nach seinem Tod entscheidet sich am Zürcher Heimplatz, ob Bührle mit dieser Strategie durchgekommen ist oder nicht.

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