Hito Steyerl, 55, ist eine einflussreiche Akteurin des internationalen Kunstbetriebs. Das Bundesverdienstkreuz hätte sie unter dem Motto "Kultur ist Lebenselixier für alle" verliehen bekommen.

Herzlichen Dank für das Angebot, mir ein Bundesverdienstkreuz unter dem Motto "Kultur ist Lebenselixier für alle" zu verleihen.

Hier meine Antwort, mit Verlaub:

Ehrlich jetzt?

In den letzten 18 Monaten hat sich erwiesen, dass die Bereiche Bildung und Kultur in der Krise am wenigsten zählen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin definitiv keine Lockdown-Gegnerin und kann mich nicht weit genug von Schwurblern distanzieren. Ich habe anders als einige meiner Kollegen nichts, aber auch gar nichts dagegen, zum solidarischen Schutz meiner Mitmenschen beizutragen.

Ein halb garer, dafür aber endloser Lockdown hat es jedoch einem Teil der Bevölkerung ermöglicht, fast ohne Einschränkungen durch die Pandemie zu kommen, während anderen auf Dauer die Lebensgrundlagen entzogen wurden. Ein Beispiel: Als Hochschullehrerin konnte ich fast drei Semester lang keine Studierenden treffen. Es wäre jedoch kein Problem für mich als Regisseurin gewesen, fast durchgehend Werbespots oder Reality-TV-Eliminationswettbewerbe zu drehen. Wie wird hier Systemrelevanz definiert? Ganz zu schweigen von Kultur?

Es gab genug Vorschläge für eine solidarische und gemeinsame Bewältigung dieser Krise, zum Beispiel einen breiter aufgestellten und dafür kürzeren Lockdown. Die regierenden Parteien haben es jedoch vorgezogen, einen disproportionalen Anteil der sozialen Konsequenzen der Pandemie auf den nichtkommerziellen Kultur- und den Bildungsbereich abzuwälzen, auf Freischaffende, Schüler, Schülerinnen und Studierende – auf Menschen also, die ohnehin eher weniger Ressourcen haben und vom Digitalisierungsrückstand doppelt hart getroffen werden. Online-Schulunterricht? Weitgehend Fehlanzeige. Der Markt – der digitale Kartellkapitalismus also – sollte mit unsichtbarer Hand die Digitalisierung besorgen. Das Scheitern dieses ideologischen Phantasmas haben Schwächere bezahlt.

Außerdem: Wenn es – nur rein theoretisch – auch darum gehen sollte, mit meiner Auszeichnung Kulturbeiträge von nichtweißen Deutschen zu würdigen, finde ich das prinzipiell nicht falsch. Ich würde Sie jedoch recht freundlich darum bitten, zunächst Maßnahmen gegen strukturelle Diskriminierungen und gegen fortgesetzten rechten Terror – sowie die Aufklärung der möglichen Beteiligung deutscher Sicherheitsstrukturen daran – anzuregen. Stattdessen gibt es jetzt ein brandneues Fake-Schloss in Berlin, voll kolonialer Raubkunst.

Ein Ordensverleihungstermin mit jemandem wie mir wirkt unter diesen Umständen leider eher wie das Diversity-Washing systemischer Missstände.

Hier nur ein paar erste, konstruktive Vorschläge für eine Politik, die Kultur und Bildung wirklich hilft: die soziale Sicherheit für Kulturschaffende strukturell erhöhen (Stichwort Arbeitslosenversicherung). Den Kampf gegen die Diskriminierung sichtbarer Minderheiten durch Präventions- und Gleichstellungsprogramme verbessern und damit die Chancengleichheit fördern. Vor allem aber: den gesellschaftlichen Verständigungsprozess der Kontrolle digitaler Monopolisten wie Facebook entziehen. Dass dieses Terrain ohne Not aus der Hand gegeben wurde, beweist der Tsunami antisemitischer und rassistischer Verschwörungstheorien.

Die Pandemie hat jahrzehntelange strukturelle Missstände auf all diesen Gebieten noch deutlicher gemacht. Verlautbarungen mit Fremdschäm-Parolen wie ›Kultur ist Lebenselixier für alle‹ helfen da nicht weiter. Wenn Ihnen Kultur, Bildung und Teilhabe wichtig sind, können Sie das gern durch die entschlossene Anregung der oben genannten Maßnahmen unter Beweis stellen. Dann können wir gerne fröhliche Fist-Bump-Pics vereinbaren. Bis dahin lehne ich Ihr Angebot, mir das Bundesverdienstkreuz zu verleihen, höflich ab.

MfG
H. Steyerl