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Christos verhüllter Triumphbogen in Paris »Er sagte, versprich mir, dass du das zu Ende führst«

Frankreichs Nationalmonument in silberblauen Stoffbahnen und roten Kordeln: 15 Monate nach dem Tod Christos wird der nach seinem Entwurf verhüllte Pariser Triumphbogen eingeweiht. Sein Neffe vollendete das Mammutprojekt.
Von Britta Sandberg Paris
Verhüllter Arc de Triomphe in Paris

Verhüllter Arc de Triomphe in Paris

Foto: Siegfried Modola / Getty Images

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Vladimir Javacheff sieht müde aus, außerdem ist er heiser. Der 48-jährige Neffe des bulgarisch-amerikanischen Künstlers Christo sitzt auf dem schmalen Pariser Balkon seines Büros in der Avenue de la Grande Armée im sechsten Stock, einen Pappbecher mit Espresso in der rechten Hand, ein Handy in der anderen. Wenn er nach links schaut, kann er den nahen Arc de Triomphe sehen, der an diesem Montagabend schon zu einem Drittel unter silberblauem Stoff schimmert.

Am Tag zuvor hatten 140 Mitarbeiter des Christo-Teams und 90 professionelle Kletterer ab sechs Uhr morgens damit begonnen, riesige Stoffbahnen von dem 50 Meter hohen Nationaldenkmal herab in die Tiefe zu werfen. Javacheff gab stundenlang Anweisungen, rief und schrie, deshalb hat er nun keine Stimme mehr. Er machte all das, was Christo sonst gemacht hätte. Es gebe immer diesen einen magischen Moment bei jedem Christo-Projekt, sagt Javacheff, wenn das, was jahrelang nur auf Skizzen zu sehen war, auf einmal vor einem steht, Form annimmt.

Projektleiter und Künstler-Neffe Javacheff: »Ich vermisse Christo«

Projektleiter und Künstler-Neffe Javacheff: »Ich vermisse Christo«

Foto: Wolfgang Volz / 2021 Christo and Jeanne-Claude Foundation

»Es war der bewegendste Tag bisher«, sagt er, »und das war allen hier bewusst, den Arbeitern, den Mitarbeitern des Teams. Irgendwann am Nachmittag haben wir den Männern angeboten, nach Hause zu gehen, aber sie wollten weiterarbeiten, bis es dunkel wird«. Danach gingen sie feiern, ein wenig melancholisch. »Ich vermisse Christo«, sagt Javacheff, »seinen Enthusiasmus, seine Kritikfähigkeit, seine Energie, sogar seine Art, herumzuschreien.«

Javacheff hatte mit seinem Onkel zusammengearbeitet, seit er 17 Jahre alt war. Er kennt die unendlich langen Vorbereitungen für dessen Projekte, die Widrigkeiten einer Baustelle, die Detailbesessenheit des Künstlers. Seit Christos Tod im Mai 2020 führt er nun die letzten Projekte für ihn weite. Für die Verhüllung des Triumphbogens zog er von New York nach Paris, weil er es für unmöglich hielt, ein solches Unternehmen über Mails und Telefonate zu steuern.

Es ist eher selten, dass ein Kunstwerk erst 60 Jahre nach den ersten Skizzen entsteht. Noch seltener dürfte sein, dass es erst nach dem Tod des Künstlers realisiert wird. An diesem Samstag wird nach jahrzehntelanger Planung der nach Entwürfen von Christo verhüllte Arc de Triomphe in Paris eröffnet. Zweieinhalb Wochen lang, bis zum 3. Oktober, wird er für die Öffentlichkeit zugänglich sein, niemand muss dafür Eintritt zahlen. Dieses Kunstwerk habe keinen Besitzer, sagt Javacheff, alle sollen ihren Spaß daran haben, das sei immer das Leitmotiv seines Onkels und dessen 2009 verstorbener Frau Jeanne-Claude gewesen.

Stahlgerüste schützen die Statuen des Triumphbogens

Stahlgerüste schützen die Statuen des Triumphbogens

Foto: Wolfgang Volz / 2021 Christo and Jeanne-Claude Foundation

Bis zum Schluss hatte Christo an den letzten Details für das Projekt gearbeitet. Kurz vor seinem Tod nahm er seinem Neffen ein Versprechen ab: »Immer wieder hat er zu mir gesagt, versprich mir, dass du das zu Ende führst, egal, was geschieht, versprich es mir.«

Alle Details der Verhüllung standen damals schon fest: Christo hatte den Stoff seit Langem ausgesucht, ebenso die dicken roten Kordeln, die das Ganze zusammenhalten. Beide wurden von deutschen Firmen produziert. 2019 führte er mit seinem Team einen Versuch an einem maßstabsgetreuen Modell in einem Vorort von Paris durch. Denn ursprünglich sollte der Triumphbogen schon im September 2020 verhüllt werden, wegen der Pandemie wurde der Plan um ein Jahr verschoben.

14 Millionen Euro Budget, 400 Tonnen Stahl

Nun bedecken 25.000 Quadratmeter recycelbares Polypropylen das Denkmal – zweimal so viel Stoff, wie die steinernen Außenflächen des Triumphbogens Fläche haben. Das sollte so sein, damit der Faltenwurf eine gewisse Tiefe bekomme. Außerdem, auch das stand in der Blaupause, die Christo seinem Neffen hinterließ, müsse sich der Stoff leicht im Wind bewegen. »So wollte er es, der Bogen sollte zu neuem Leben erweckt werden«, sagt Javacheff.

Es ist das Projekt eines Besessenen. 14 Millionen Euro beträgt das Gesamtbudget für die Verhüllung, wie alle anderen Installationen zuvor, darunter die Verhüllung des Berliner Reichstags, wurde auch diese vollständig von Christo und Jeanne-Claude durch den Verkauf von Skizzen und Zeichnungen finanziert. Seit dem 15. Juli arbeiteten drei Teams in Acht-Stunden-Schichten am Arc de Triomphe: Sie brachten aufwendige Stahlkäfige auf der Fassade an, um die vier überlebensgroßen Skulpturen des Denkmals zu schützen, und sie bauten ein zweites Dach auf den Bogen, weil Christo einen geradlinigen Abschluss nach oben haben wollte. Insgesamt verbauten sie 400 Tonnen Stahl auf dem Denkmal.

Christo mit einer Zeichnung des verhüllten Triumphbogenprojekts in seinem Atelier in Tribeca, New York 2019

Christo mit einer Zeichnung des verhüllten Triumphbogenprojekts in seinem Atelier in Tribeca, New York 2019

Foto: Wolfgang Volz / 2019 Christo and Jeanne-Claude Foundation

Der Triumphbogen ist nicht irgendein Denkmal. Mehr als der Eiffelturm, mehr als der Louvre und Notre-Dame ist das Bauwerk am oberen Ende der Champs-Élysées steinerner Bezugspunkt für die Befindlichkeiten der Nation, ein Ort, an dem man feiert, protestiert, demonstriert und trauert. Zum Nationalfeiertag am 14. Juli startet von hier aus die alljährliche Militärparade; am 11. November gedenkt der französische Präsident unter dem Triumphbogen der Toten der beiden Weltkriege. Bis heute wird jeden Abend um 18 Uhr am Grab des unbekannten Soldaten unterhalb des Bogens symbolisch eine Flamme neu entzündet. Anschließend singen Veteranen in Uniform die Marseillaise. Während der Verhüllung unterbrachen Kletterer und Ingenieure von jeweils 17 bis 19 Uhr ihre Arbeit, um die Zeremonie nicht zu stören.

Als die Franzosen 2018 Fußballweltmeister wurden, fuhr der Bus der Nationalmannschaft von hier aus los, und als die Gelbwesten im Winter desselben Jahres gegen die Regierung auf die Straße zogen, ließen sie ihre geballte Wut an dem Monument aus, stürmten das Innere des Bogens, sprühten Anti-Macron-Graffiti auf die Sandsteinfassade und verursachten einen Schaden in Millionenhöhe.

Nun wurde diesem steinernen Koloss ein silberblaues Gewand samt roten Kordeln übergeworfen, der Haute-Couture-Entwurf eines bulgarischen Künstlers für die französische Hauptstadt, in den Nationalfarben der Nation. Es ist Christos letztes Geschenk an Paris, die Stadt, mit der er sich ein Leben lang tief verbunden fühlte, weil es die Stadt war, in der er die Freiheit entdeckt hatte.

Auf einmal sieht dieser vom Verkehr umtoste Platz, an dem normalerweise kein Pariser stehen bleiben würde, von dem jeder Autofahrer möglichst schnell wieder herunterkommen möchte, so ganz anders aus: Der silberne Faltenwurf nimmt dem Monument die Strenge, es leuchtet schon von Weitem, die eiligen Pariser halten auf einmal an, verharren. Man mag das alles für unnütz, überflüssig, vielleicht sogar wahnsinnig halten. Aber es ist wunderschön.