Das Dritte Reich in unserem Wohnzimmer
Henrike Naumann im Kunsthaus Dahlem

22. August 2021 • Text von

Henrike Naumann erforscht politische Geschichte durch Möbel im privaten Raum. In ihrer aktuellen Ausstellung “Einstürzende Reichsbauten” im Kunsthaus Dahlem widmet sie sich der NS-Zeit und macht deutlich, wie präsent die Ideologie dieser Ära immer noch in unseren Wohnzimmern ist.

Henrike Naumann: “Einstürzende Reichsbauten”, Installationsansicht. Kunsthaus Dahlem, 2021. Foto: MoritzJekat.

Die Idee von Privatsphäre ist so alt, dass sie schon in der Antike gedacht wurde. Der Ansatz verfolgte in der Philosophie des 5. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung vor allem das Verhältnis zwischen individuellem und gemeinem Wohl und war ein Gut, das der Elite vorbehalten war. Das Private galt hierbei als der Bereich der Hausgemeinschaft, ein Ort des Notwendigen und der Vernunft. Das Pendant dazu wurde im Öffentlichen gesehen, welches das Reich der Freiheit war. Ein Ort, an dem die Menschen sich aufgrund ihrer Fähigkeit, miteinander zu sprechen, austauschen und lernen konnten. Das in der Öffentlichkeit Erlernte bildete wiederrum die Voraussetzung für den Sinn des Lebens und für die Vernunft, die dann im Privaten Anwendung finden konnte.

1960 griff Hannah Arendt diese Ausführungen in ihrem Buch „Vita activa“ auf und vertiefte die Idee der Hausgemeinschaft als Ort, dessen Fortbestand durch ökonomisches Handeln garantiert werden müsse. Sie beschreibt dort, dass das Private ohne Existenzangst abgesichert sein sollte, damit der Mensch sich in Ruhe dem Öffentlichen und somit dem Verhandlungsraum für allgemeinwohlrelevante Interessen zuwenden kann. Gemäß Arendt bildet dieser Raum die Grundbedingung für eine Freiheit, in der das Individuum seine Einzigartigkeit leben und somit Handeln kann. Das Handeln setzt die Menschen zueinander in Beziehung.

Henrike Naumann: “Einstürzende Reichsbauten”, Installationsansicht. Kunsthaus Dahlem, 2021. Foto: MoritzJekat.

Die Bürger*innen kommen also durch den Austausch miteinander in der Öffentlichkeit zur Vernunft, werden zivilisiert und können sich auf diese Weise im Privaten der ökonomischen und biologischen Reproduktion widmen.

Der Raum des Privaten ist seit 1954 in Deutschland Grundrecht und wird durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt. Anders zu Zeiten des Dritten Reichs.

Der Historiker Peter Steinbach beschreibt in einem Artikel zu Diktaturen des 20. Jahrhunderts, dass der Kern der Macht eben dieser in der Durchpolitisierung und Durchstaatlichung von Gesellschaften liegt. Sie durchdringen private Räume und heben die Trennung von Individuum, Familie, Gesellschaft und Staat auf. Somit müssen sich die Menschen preisgeben und der Schutz privater Lebens- und Entfaltungsräume entfällt.

In ihrer neusten Ausstellung „Einstürzende Reichsbauten“ widmet sich die Künstlerin Henrike Naumann eben diesem Thema privater Räume zu Zeiten der NS-Diktatur, indem sie das Kunsthaus Dahlem in ein Wohnzimmer des Dritten Reichs verwandelt. Im ehemaligen Atelier von Arno Breker, Bildhauer, Architekt und protegiert von Adolf Hitler, zeigt sie, wie (Innen-)Architektur missbraucht werden kann, und erforscht den privaten Raum in totalitären Regimen.

Henrike Naumann: “Einstürzende Reichsbauten”, Installationsansicht. Kunsthaus Dahlem, 2021. Foto: MoritzJekat.

Naumann stellt Möbel in den Mittelpunkt der Geschichtserzählung, um aufzuzeigen, wie Objektgeschichte und politische Geschichte miteinander verknüpft sind. Und vor allem: wie weit diese Details noch in unsere jetzige Zeit hineinragen. Neben einem Teil offensichtlicher „Nazi-Möbel“, die aus dem Empfangssaal von Hitlers Residenz aus Obersalzberg stammen und vom Haus der Kunst in München geliehen wurden, hat die Künstlerin die restlichen Objekte vor allem Secondhand bei ebay Kleinanzeigen erworben. Offengelegt werden dadurch Fragen danach, wie präsent ideologisch verknüpfte Innenarchitektur heute noch im privaten Raum ist, wie sehr sie den Alltag durchdringt und vielleicht auch so manches Leben prägt. Welche politischen Botschaften die eigenen Möbel ununterbrochen senden.

Empfehlenswert ist also nicht nur der Besuch von Henrike Naumanns Ausstellung, sondern auch ein ganz genauer Blick auf den letzten schicken Flohmarktfund in den eigenen vier Wänden.

WANN: Henrike Naumanns Einzelausstellung „Einstürzende Reichsbauten“ läuft bis zum 28. November.
WO: Kunsthaus Dahlem, Käuzchensteig 8, 14195 Berlin.

Weitere Artikel aus Berlin