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Transalpine Gespräche #2

Unser Sommer 2020? Kultururlaub daheim.
Zwar nicht auf Balkonien aber zumindest in der näheren Umgebung haben wir diesen August einiges an guter Gegenwartskunst aufgespürt. Verschwitzt, aber mit offenen Augen, Ohren, Nasen streiften wir längst überfälligen Grenzen entlang und schauten, hörten und schnüffelten für unsere Länderreihe “Transalpine Gespräche” in der Kunstszene Tirols und Vorarlbergs herum, also dem Westlichsten, das Österreich zu bieten hat. Um genau dort (schon wieder!) ein Stimmungsbild einzufangen, ein zweites von vier, aus denen am Ende der Reihe dann ein transalpines Fazit gezogen werden kann, soll, muss. Gewissermaßen zentral stand auch in diesem Beitrag die Frage nach dem Stellenwert der zeitgenössischen Kunst.
 
Nach Südtirol, wo wir eine superrege aber relativ homogene Szene vorfanden, überwinden unsere Talks in der zweiten Ausgabe schon die erste Bundesländergrenze. Tirol, da sind wir zuhause, hier wurde das Büro gegründet. Kein Grund aber, es uns deshalb allzu leicht zu machen und nur das Offensichtliche blind abzurufen. Die Kombination mit Vorarlberger Gegenparts erschien uns in den einzelnen Teilabschnitten als besonders sinnvoll, um das Thema etwas zu würzen, neue Perspektiven zu eröffnen: Was ist ähnlich in Tirol und Vorarlberg? Was funktioniert hier und dort vielleicht anders? Und welchen Probleme wären gemeinsam lösbar? Ausgewählte Künstler*innen, Kulturarbeiter*innen, Kurator*innen oder Galerist*innen haben wir besucht, große Häuser und kleine Geheimtipps aufgesucht, geschaut, hingehört, wieder einmal gefaselt und diskutiert. Jetzt seid ihr dran.

Weggehen, Zwischenstation, Heimkommen

Zuallererst möchten wir die Kunstschaffenden sprechen lassen. Maria Anwander ist Künstlerin aus Bregenz, die inzwischen in Berlin lebt und trotzdem intensive Kontakte in ihre Heimat pflegt – berufliche aber auch persönliche. Per Videochat haben wir uns virtuell an ihren Geburtstort gebeamt und auch darüber gesprochen, welche Vorteile die Kleinstadt gegenüber dem großen Kunstzentrum hat. 
 
7 Jahre in Wien, 7 Jahre in Düsseldorf, 7 Jahre in Innsbruck? Künstler Benjamin Zanon ist nach seinem Studium nach Tirol zurückgekehrt. Bewusst unbewusst. In seinem Atelier hat er uns kurz und knackig erzählt, wie er Tirol als Künstler erlebt.

„im Flug“: Maria Anwander, Leap into the Void, 2014

Titelbild: Meteoritenfalle, 2017 von Barbara Husar 
an der Fassade der Galerie Maximilian Hutz (c)BfG

“Die Arbeit an sich passiert überall - egal ob Bregenz oder Berlin.”

Maria Anwander

The Kiss (MoMA) 2010 / performance and intervention / french kiss and museum label on wall

“The Kiss” was given to the MoMA as a donation without asking for permission. I entered the museum as a regular visitor and gave an intense French kiss to the wall. Next to the invisible kiss I then fixed a fake label, which simulated the style of a regular MoMA caption.

Maria Anwander

Maria Anwander (*1980) ist Konzeptkünstlerin aus Bregenz. Nach ihrem Studium an der Akademie für Bildende Kunst, zog Anwander nach Berlin; Solo Shows u.a. im Kunstverein Friedrichshafen oder in der Kunsthalle St. Gallen, internationale Ausstellungsbeteiligungen u.a. in Los Angeles, Berlin, Bilbao, Palermo oder Venedig.

Deiner Vita entnehme ich „lebt und arbeitet in Berlin und Bregenz“. Ist diese Zweiteilung eine bewusste Entscheidung für deine Arbeit?

Es gab bei mir schon diese bewusste Entscheidung nach Berlin zu gehen. Nachdem ich in Wien studiert habe, lebe ich inzwischen seit zehn Jahren in Berlin. Beruflich aus Vorarlberg wegzugehen, war schon wichtig – aber dadurch, dass ich etwa im Vorstand der Berufsvereinigung bildender Künstlerinnen und Künstler Vorarlbergs bin und sich in Vorarlberg für mich auch immer wieder Aufträge und Projekte ergeben, bin ich mit Bregenz doch sehr verbunden und verbringe einen Großteil meiner Zeit hier. Ich arbeite fast so viel in Bregenz, wie in Berlin. Vor allem bin ich als konzeptuelle Künstlerin nicht so ateliergebunden, da ich kaum Platz zum arbeiten brauche, ist das Atelier vor allem Büro und Lagerraum. Die Arbeit an sich passiert überall – egal ob Bregenz oder Berlin.

Wagen wir den mutigen Vergleich Bregenz-Berlin: Welche Vorteile / Nachteile ergeben sich in den jeweiligen Städten?

Wenn etwas schnell gehen muss und ich für eine Arbeit etwa eine Schlosserei oder eine Druckerei benötige, dann funktioniert das in Vorarlberg meist ganz spontan und die Zusammenarbeit mit Handwerkern ist oft unkompliziert. In Berlin ist alles träger und komplizierter, vielleicht weil hier die Auslastung höher ist. Der klare Vorteil von Berlin ist allerdings, dass ich tatsächlich alles, was ich zum Arbeiten brauche schnell und einfach besorgen kann. In Bregenz muss ich, wenn ich zum Beispiel ein etwas besseres Papier – etwa größer als A3 – benötige, in den Zug steigen und nach Dornbirn fahren, vieles bekomme ich gar nicht. Das ist schon etwas mühsam in Vorarlberg.

Wie sieht es mit dem Austausch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern aus? Und das Kulturangebot in Berlin? Hat dich das nicht auch nach Berlin gezogen?

Anfangs natürlich schon, sowohl das riesige Angebot an Ausstellungen als auch der Austausch mit vielen, auch internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Der Austausch ist aber auch innerhalb Vorarlbergs ziemlich gut, allerdings sind es halt viel weniger vor allem auch internationale Künstlerinnen und Künstler, die dort leben. Inzwischen habe ich immer weniger Zeit das Angebot hier in Berlin so stark zu nützen, wie man es nützen könnte. Mir reicht es manchmal auch, dass es einfach möglich wäre.

Hat die zeitgenössische Kunst in Vorarlberg oder speziell Bregenz einen hohen Stellenwert?

Meiner Meinung nach schon. Das KUB ist maßgeblich dafür verantwortlich, indem es auch internationales Kunstpublikum anzieht. Als ich Teenager war, wurde das Kunsthaus gerade neu gebaut, davor habe ich mich eigentlich kaum mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt. Ich hoffe, dass es auch heute noch so eine Wirkung auf junge Menschen hat, wie es damals auf mich hatte. Aber auch „Kunst in der Stadt“ oder das „Impulse“ Festival haben mich der Kunst näher gebracht. Das Künstlerhaus im Palais Thurn und Taxis, ist aber auch nennenswert, als ein guter Ort, der vor allem die regionale zeitgenössische Kunstszene gut repräsentiert und untereinander vernetzt, immer mit Fokus darauf auch internationale Positionen zu zeigen.

Ist der Eindruck richtig, dass Bregenz Festspielstadt ist und sonst nicht mehr viel.

Ja, die Festspiele überstrahlen wirklich alles. Das KUB ist ein gutes Gegengewicht.

Bregenz liegt ja in einem (Vier-)Ländereck. Gibt es Austausch über die nahen Grenzen hinweg?

Für Künstlerinnen und Künstler gibt es zum Beispiel die öffentliche Ausschreibung „Heimspiel“, die sich an Vorarlberger, Liechtensteiner, Schweizer Künstlerinnen und Künstler richtet. Das Projekt finde ich sehr gut gemacht, weil man tatsächlich in Berührung mit Kolleginnen und Kollegen etwa aus der Schweiz kommt. Sonst sind mir eigentlich hauptsächlich private Projekte bekannt. Von öffentlicher Seite ist da nicht viel los.

Salopp gesagt, was fehlt Vorarlberg?

Meiner Meinung nach gibt es in Vorarlberg im Bereich zeitgenössische Kunst relativ wenige mutige Sammlerinnen und Sammler – die Leute, die mit einem Budget ausgestattet wären, um sich Kunst zu kaufen, vertrauen meist eher auf hochpreisige, am Kunstmarkt bereits etablierte Kunst, anstatt auch die Kunstszene vor Ort zu unterstützen. Nach meiner Ausstellung im Rahmen des Förderpreises der Klocker Stiftung hatte ich den Eindruck, dass das in Tirol etwas anders ist. Speziell in Bregenz ist auch die Ateliersituation für Künstlerinnen und Künstler sehr schwierig. Für viele ist es sehr schwierig, sich ein Atelier zu leisten. Und es sind viele auf der Suche nach Ateliers, weil das Angebot leistbarer Räume knapp bis nicht vorhanden ist. In dieser Hinsicht sollte sich die öffentliche Hand auf Landes- und Stadtebene etwas überlegen. In Bregenz gibt es aktuell eine interessante Initiative namens temporary art, die dafür sorgt, dass Leerstände bespielt werden. In einer derartigen Initiative sehe ich viel Potenzial. Insgesamt kann man sagen, Vorarlberg ist ambitioniert, einiges scheitert aber an der Umsetzung.

26.10.2020-
16.11.2020

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Bild oben: 
Detail Selfie (ego/ich/selbst), Benjamin Zanon, 2019

Benjamin Zanon (*1981) ist Künstler aus Lienz. Nach seinem Studium der Architektur und Philosophie in Wien, wechselte er 2008 nach die Kunstakademie Düsseldorf an die Meisterklasse von Richard Deacon. Zurück in Innsbruck arbeitete Zanon neben seiner freischaffenden künstlerischen Tätigkeit u.a. als Universitätsassistent am ./studio3, dem Institut für experimentelle Architektur der Universität Innsbruck.

Atelierbesuch bei Benjamin Zanon im Künstlerhaus Büchsenhausen in Innsbruck.

1x TON AN!

“Mir kommt es in Österreich manchmal so vor, man wird nicht ernst genommen, wenn man nicht in Wien ist.”

Benjamin Zanon

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