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Die Gegenwart grüßt

Kultur,
wer redet mit?

Wohin gehts, wenn ihr in Berlin seid? Hamburger Bahnhof? Neue Nationalgalerie? KW? Zu Boros? Nur, um schnell mal einige der ganz großen Namen zu droppen. Tatsächlich von kaum Jemanden kam bisher der Tipp: Geht doch mal ins Humboldt Forum! Die Debatten, die um das Stadtschloss kreisen, bieten aber Diskussionsstoff für Jeden und Jede. Jahrelang wurde gebaut und doch gehen (1, 2, 3) ständig neue Baustellen auf. Vor Kurzem wurde bekannt, dass einer der Großspender zwar über eine Mio. für die Fassadengestaltung springen ließ, sonst aber eher mit Wortspenden von weit rechts außen auffiel. Hier hört ihr eine Zusammenfassung des Falls. Und hier lest ihr einen Kommentar dazu – mit dem treffenden Schlussresümee: Das Humboldt Forum wolle eigentlich Haus für Weltoffenheit sein, sei jetzt aber eine Bühne für deutschen Zwist. Tja! Diskussionen gab es zuletzt auch rund um die Eröffnung des Kunsthaus-Erweiterungsbaus in Zürich. In dem nunmehr größten Museum der Schweiz ist es die Sammlung Bührle, die schwer lastet. Der problematische Mäzen ist hier der Sammler, ein Waffenfabrikant, der (auch) vom NS-Regime profitierte. Und sein angesammeltes Fluchtgut ist vom Kaliber Cezánne ("Knabe mit der roten Weste") oder Van Gogh ("Selbstbildnis") – allesamt prestigeträchtige Touri-Magneten für den neuen Museumsbau. Wird die Debatte in der Schweiz aber anders geführt? >> Zeit für ein Shoutout an den transalpinen Podcast der ZEIT: Servus, Gruezi, Hallo – könnt ihr euch das anschauen – oder sollen wir das übernehmen? << Wir können bisher höchstens von außen betrachten: Das Kunsthaus Zürich selbst widmet der Causa Bührle jedenfalls online ein ganzes Digitorial. Man fühlt sich also informiert, es riecht nach Offenheit und Transparenz. Aber reicht das? In der Schweiz scheint die Debatte in den heiligen Hallen Chipperfieldbaus (aktuell u.a. mit der raumgreifenden "The 2000 Sculpture" von Walter de Maria, schaut hier!) wenigstens angekommen zu sein. Gefühlsmäßig hat das Humboldt Forum da noch einiges aufzuholen. Was wir bei unserem Besuch in Zürich zusätzlich und ungefragt überprüfen werden: Wie viel Platz bekommt die Gegenwartskunst im größten Museum der Schweiz? Vor inzwischen bald zwei Jahren haben wir im Stammhaus noch in Oláfur Eliassons Nebel gebadet – seht ihr anbei im Bild. Jetzt ist klar: So schnell werden die Nebelschwaden der Diskussion um die Sammlung Bührle im Neubau nicht verschwinden. Wir sagen: Gut so!
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Schlussendlich geht es in solchen Debatten um problematische Mäzen*innen ja darum, wer redet eigentlich mit im Kulturbereich? Nur der, der auch zahlt? Warum nicht alle? Diese Fragen von Beteiligung werden in vielen Museen gerade offensiv gestellt. Wie eine Beteiligung "aller" aussehen könnte, zeigte das Linzer Francisco Carolinum im Jahr 2020. Dass sich das Haus heute voll und ganz der Fotografie und Medienkunst widmet, geht auf eine Umfrage mit 7000 Kulturinteressierten zurück. Diesen fehlte genau so ein Haus in der Stadt. Die Diskussion ist bis heute nicht verstummt. Mitten im Museum und mit den Besucher*innen läuft sie weiter. Neben Wünschen nach mehr Interaktivität und Information (lest ihr in den Bildern anbei), gibt es auch bescheidene Bitten. Unsere liebste: Bitte mehr 🐾🐾🐾🐾🐾🐾, ja Hunde 🐶!
Noch weiter geht derweil ein neues Projekt in Winterthur. Da geht es nicht ums Wünschen, sondern ums Mitbestimmen. Ein Kultur Komitee soll im Schweizer Städtchen künftig über die Förderungen der heimischen Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte entscheiden. Zusammengesetzt ist dieses Komitee allerdings aus zufällig gelosten Mitbürger*innen. Wie soll das gehen? Ganz einfach: Bei 200 zufällig ausgewählten, volljährigen Winterthurer*innen lag Anfang Oktober ein Brief im Kastl, eine Einladung, sich zu engagieren im ehrenamtlichen Vergabegremium der Stiftung. 25 der Ausgelosten haben sich bereit erklärt, bei dem Experiment mitzumachen – und mitzubestimmen, welche Winterthurer Kulturprojekte 2022/23 Geld aus der Stiftung erhalten werden. Entschieden wird in mehreren Zusammenkünften. Jedes Mitglied soll dabei frei mitdiskutieren können, unabhängig entscheiden und nicht stellvertretend für eine Bevölkerungsgruppe, Kultursparte oder Institution stehen. Hier findet ihr noch einmal alle Infos dazu. Im Pott liegen übrigens 400.000 CHF. Not too shabby! Wie das mutige Projekt ausgeht, anläuft und abläuft, das verfolgen wir natürlich gerne für euch.
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Mit dem Mitspracherecht sind wir am Ende dieses Newsletters auch wieder bei den oft formulierten Wünschen nach mehr Inklusion und Diversität in der Kultur angekommen. Ebenso wie beim weißen Blick, der im eingangs erwähnten Humboldt Forum ja dringend auf den Prüfstand gestellt werden muss. Und das bringt uns jetzt zurück nach Innsbruck. Dort hat gestern die Ausstellung "Archives of Resistance and Repair" eröffnet – mit Arbeiten von Shiraz Bayjoo, Maeve Brennan und Onyeka Igwe. Alle drei Künstler*innen befragen in ihren Arbeiten historische Objekte, etwa Filmmaterial oder Raubgut aus einer dekolonialen und antiimperialistischen Perspektive. Ein Beispiel: Mit den persönlichen Erinnerungen (etwa bei Shiraz Bayjoo im Bild) wird die vermeintliche Objektivität des Archivs kurzerhand dekonstruiert. Das Spanennde an den super zeitgenössischen Ansätzen: Sie werden wie in der Neuen Galerie auch mitten in einem historischen Umfeld platziert. Also ganz direkt in der Hofburg, unterhalb der Prunkräume der Habsburger. Dieser Ort war auch für die beiden Kuratorinnen, Lexington Davis und Julia DeFabo, eine besondere Herausforderung – das haben sie uns im Gespräch verraten. Die beiden würden ja wunderbar in eine Fortsetzung unseres eigenen, emsig fragenden Beitrags von damals passen. Wie in Zürich und Berlin kommt also auch in Innsbruck, im Kleinen jedenfalls, Vergangenheit mit Zukunft ins Gespräch – und wir mit der Gegenwart sprechen auch alle mit. So gefällt uns das!
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WHAT'S NEXT?

Habt ihr in puncto "Feministische Avantgarde" noch etwas nachzuholen? Den aktuell wahrscheinlich besten Überblick erhält man in der ungemein dichten Lentos-Ausstellung "Female Sensibility". Mit dabei ist dort die heute 85-jährige Margot Pilz. Wir haben sie im Rahmen der Überblicksschau erst kennengelernt. Und wollten sofort mehr. Also ging es weiter in die Kunsthalle Krems. Dort zeigt die "Selbstauslöserin" noch bis April 2022 ältere Arbeiten nebst neuesten Werken. Zusätzlich füllt sie zentrale Halle mit einem Kaorle nach ihrem Geschmack. Unseren Geschmack hat ihre Ausstellung definitiv getroffen, it's simple as fuck: Sie hat uns gleich mehrmals überrascht.

Weitere Einblicke bekommt ihr
wie immer drüben bei Instagram.
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Bildcredits: (1) (c) Estate of Walter de Maria, Foto: Franca Candrian / Kunsthaus Zürich & c) BfG, Ausstellungsansicht "Olafur Eliasson. Symbiotic Seeing" (2) 2x c) BfG, Ausstellungsansicht "Archives of Resistance and Repair", Neue Galerie Innsbruck (3) 2x BfG @ Francisco Carolinum Linz (4) c) BfG, Ausstellungsansicht "Selbstauslöserin", Kunsthalle Krems.

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